Edouard Bannwart

Cyber City

Auf dem Weg zur "multimedialen Stadt"

Zur Zeit läßt sich beobachten, wie die Medien beginnen, sich aus ihren Kisten und Kästchen zu befreien. Beamer, Projektionswände und Raumakustik ersetzen zunehmend Monitore, Fernseh- und Stereogeräte. Die Entwicklung vom Mediengerät zum Medienraum mit Motionbase ist als nächste Stufe der "Erlebnisskultur" schon in Disneyland und anderswo erkennbar. Auf dem Weg zur "multimedialen Stadt" werden jetzt Neubauten entworfen, die nicht nur "Datenträger", sondern begehbare Datenräume sind. Diese multimedialen Raumechamäleons können sich, je nach Nutzung, von einem Zustand in einen anderen wandeln. Derartig changierende Gebäudehüllen geben sich ein ständig veränderbares architektonisches, werbliches oder gar bewegliches Erscheinungsbild.

So wie sich einst die Fassade vom Baukörper ablöste und sich als stilistisches Ausdrucksmittel verselbständigte, hat sich heute das "Infotainment" als weitere Schicht über alle Stadtstruktu ren gelegt. Tagsüber höchstens als monströse Überkonstruktion wahrzunehmen, die sich in ihrer internationalen Maßstäblichkeit über die regionalen Baustruksturen hinwegsetzt, vereinheitlicht dieses "Infotainment" nächtens alle Stadtzentren. Zur lokalen Standortbe stimmung dieser globalen Lichtwelten werden zusätzlich noch besonders ortscharakteristische Gebäude angestrahlt. Obwohl diese selbst oft durch Renovation, Wiederaufbau oder Imitation Teil einer Scheinwelt sind, werden sie als identitätsspen dende Objekte in diese multimedialen Inszenierungen einer Stadt eingebunden. Daß hinter diesen multimedialen Wänden Menschen leben, arbeiten oder gar wohnen sollen, hindert die Betreiber und Architekten wenig, solche begehbaren "Screenbunker" als besonders zukunftsweisend anzupreisen. Es trifft sich dabei gut, daß die Anwender multimedialer Techniken aufgrund der Spiegelung der Monitore sowieso das Tageslicht scheuen, so daß die bislang besonders unrentablen, weil unbelichteten Räume nun als multimediale Extra- Ausstattung vermarktbar werden. Doch daraus die Schlußfolgerung abzuleiten, daß wir nur noch in sonnengeschützten Hochbunkern arbeiten sollen, konterkariert die Forderung an die Industrie, Geräte zu entwickeln, die in jeder natürlichen Umgebung verwendbar sind. Darüber hinaus ganze Architekturkonzepte auf dieser technischen Unzulänglichkeit aufzubauen, führt die Verantwortung des Architekten, menschenwürdige Gebäude zu konzipieren, ad absurdum.

Das virtuelle Stadtmodell

Begehbare "Screenbunker" sind lediglich die Vorboten einer Medialisierung der Städte. Analog zur zunehmenden Beschleunigung der Verarbeitungszeiten von Rechnern bis hin zur Echtzeit, ist die Durchdringung aller Lebensbereiche mit Informations-, Steuerungs- und Überwachungstechnologien zu beobachten. Durch die Vernetzung dieser Datenerfassung und Datenauswertung entsteht ein sich ständig ergänzendes Simulationsmodell der städtischen Veränderungen. Dieses dynamische Bewegungsmodell wird die Zustandsfixierung durch Zeichnungen zunehmend ersetzen und dient zukünftig als digitale Grundlage für den Planungs- und Verwaltungsprozeß.

Ein solch digitales Stadtmodell wird zur Zeit für die Berliner Innenstadt erstellt, mit dem Anspruch eines möglichst realistischen Abbildes. Zentimetergenau, detailgetreu und wahrneh mungsentsprechend soll es zukünfig den Stadtraum unter der Erde, auf der Oberfläche und im Luftraum repräsentieren. Damit entsteht eine virtuelle Analogie zur Realität, in der sich Planungskonzepte, Betriebsabläufe und Umweltbelastungen simulieren lassen. Die interaktive Begehbarkeit dieses Computermodells erlaubt es den Stadtbewohnern oder Besuchern, virtuell durch die Innenstadt zu spazieren, Teleshoping, Telekiosking oder telepräsent Alltäglichkeiten zu erledigen. Das möglichst realistische Abbild der Stadt mit speziellen Orten, Nutzungen und Transportsystemen fördert eine hohe Wiedererkennung, so daß sich die meisten Leute entspre chend ihren "urbanen Sozialisationserfahrungen" schnell zurechtfinden.

Der Zugang zu diesem Modell basiert auf der Grundlage der "Virtual Reality"-Technolgie; zunächst mit "Head Mounted Display" und "Data Glove", dann mit "Polhemus" als Navigationssensor und schließlich mit dem 3D-Joystick. Anlaß für diese Modellbildung war die anschauliche Bild-Daten-Telekommunikation über breitbandige Netze, insbesondere für die zukünftige Regierungsarbeit zwischen Bonn und Berlin. "Virtual Reality" löst sich also auch hier von den Brillen und Kästchen und wird zu einer räumlichen Simulationsumgebung, in der auch Planungslaien Analysen, Konzepte und Verfahren realistisch erproben können. Architekten, Verwaltungen und Durchführungsfirmen können die Planungsvorgänge über diesen Datenraum vernetzt aufeinander abstimmen. Selbst die technischen, finanziellen und umweltbestimmenden Konsequenzen lassen sich in einem solchen Simulationsspiel (vgl. z.B. Sim City) schon erstaunlich komplex durchspielen. Vor allem entsteht jedoch ein anschauliches Stadtmodell, an dessen Komplettierung viele Planungs- und Verwaltungsbereiche, sowie ganze Wirtschaftszweige (z.B. Tourismus, Verkehr und Dienstleistungsbetriebe) interessiert sind.

Ein solches Rechnermodell wird sich in Zukunft auch dazu eignen, als dreidimensionale Stadtkarte mobil abrufbar zu sein. Die reale Standortsuche kann dann durch den Vergleich zwischen Computermodell und Realität hergestellt werden: mit Hilfe eines durch GPS georteten 3D-Screens, auf dem das Stadtmodell aus dem jeweiligen Blickwinkel räumlich dargestellt wird. Aber auch spezielle Erklärungen zu den Standorten, die Begutachtung von Innenräumen, Sichtverhältnissen und Verkehrsverbindungen sowie Schadstoffbelastungen, Wetterprognosen und Straßenverhältnisse lassen sich auf diese Weise aktuell abrufen. Hilfreich ist ein solch realistisch zu durchwanderndes Stadtmodell zur Orientierung durch das Informationschaos von irgendwo gelagerten Materialien. Beim Durchstreifen dieser "Cyber City" trifft der Benutzer auf symbolische Hinweise zu besonderen Texten, Bildern oder Filmen. Mit einer interessensorientierten Voreinstellung oder vertreten durch einen "private agent" können so besondere Interessensgebiete ausgemacht und nach entsprechenden Daten zur Geschichte, zu Planungskonzepten oder Realiaierungsfortschritten abgefragt werden.

Über solche Symbole können aber auch öffentliche Kameras abgerufen werden, wie sie schon heute als "Alpenüberblick" im Fernsehen eingesetzt werden. Zukünftig wird die Fernsteuerung solcher Kameras an neuralgischen Verkehrsknoten, unter Sportstadiondächern oder anderen öffentlichen Orten über den eigenen Joy-Stick erfolgen. Schon jetzt sind in der Nacht auf allen TV-Kanälen Kameras zu sehen, die uns mit Filmen und Live-Bilder aus dem Auto, vom Flugzeug, vom SpaceLab, vom Schiff und vom Strand aus Kalifornien im Schlaf begleiten. Diese Gleichzeitigkeit des Erlebens von unterschiedlichen Orten, Personen und Sachverhalten wird unsere Entscheidungsstrukturen und damit unser reales Leben wesentlich eeinflussen. Analog zum Internet ist dieses digitale Stadtmodell auch als "Bühnenraum" Für telekommunikative Treffen denkbar, in dem sich die verschiedenen Nutzer in Form von beweglichen Repräsentationsfiguren treffen und interagieren. Auf diese Weise ließen sich zukünftig auch gesellschaftliche Ereignisse im virtuellen Raum organisieren, wie sie schon heute als Gemeinschaftsspiele durchgeführt werden.

Viel entscheidender wird jedoch die Parallelisierbarkeit von Planungs-, Entscheidungs-, und Realisierungsvorgängen in Zukunft sein. Ähnlich der massiv-parallelen Rechnerarchitektur ist mit einer zukünftigen Unternehmensstruktur zu rechnen, die möglichst viele Produktions-, Dienstleistungs- und Distributionsaktivitäten so aufeinander abstimmen wird, daß möglichst gleichzeitig zu den individuellen Kaufwünschen auch maßgeschneiderte Angebote auf den Markt kommen. Diese "virtuellen" Unternehmen werden auch die Planungs- und Entscheidungszeiten im städtischen Management bestimmen, weil die reibungslose Verzahnung der immateriellen Infrastruktur mit den materiellen Bedingungen einer Stadt von der Kommune zu gewährleisten ist.

Virtuality versus Reality

Im Gegensatz zum offensichtlichen Nutzen solcher virtuellen Stadtmodelle, stellt sich die Frage nach dem Sinn der oben beschriebenen multimedialen Gebäudehüllen und deren menschenwürdige Benutzbarkeit. Sonne, Luft und natürliche Umgebungen sind in der Architekturdebatte wieder Streitwerte, die für scheinbar reizvollere Erlebniswelten zur Disposition stehen. Auch wenn heute schon der öffentliche Raum vorwiegend durch private Werbeinteressen dominiert wird, ist es nicht zwingend, ihn durch die Medialisierung der Gebäude endgültig aufzugeben. Denn die Gebäudehüllen dieser Szenarien stehen nor malerweise auf Grundstücken, deren Eigentümer selten öffentliche Interessen verfolgen. Viel eher werden zunehmend private Interessen den öffentlichen Raum mit den Inhalten beherrschen, die aus den privaten Fernsehprogrammen bereits hinlänglich bekannt sind. Die Konsequenzen solcher privatenwirtschaftlichen Interessen lassen sich an dem Beispiel einer bereits veralteten Bildwand in Berlin studieren. Dort am "Kudamm - Eck" waren, nach anfäng lich erfrischender Berichterstattung, manigfaltiger Werbung und kessen Sprüchen, nach einem Jahr Probephase nur noch Coke-Commercials zu sehen, gespickt mit einigen offiziellen Meldungen, Zeitansagen und Kanzlerportraits. Analog zur Rolle der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten bei der gegenwärtigen Privatisierungskampagne, gilt es auch im öffentlichen Raum die Interessen aller Nutzer zu wahren. Dies erfordert jedoch, daß eine Kommune selbst aktiv den öffentlichen Raum medial gestaltet und ihn gegen die Aneignung durch die umliegenden Gebäude schützt.


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