Aaron Koenig
Im Internet herrscht Goldgräberstimmung. Insbesondere
Zeitschriften und
Fensehsender reißen sich plötzlich darum, einen Claim im
weltweiten
Computernetz abzustecken. Das MME MedienLabor hat mit dem VH-
1D des
Musiksenders VH-1 und der
Programmzeitschrift TV Movie
bereits zwei Internet-Projekte
verwirklicht,
weitere stehen an. Und eine Frage stellen unsere Kunden
natürlich - bei
aller Euphorie - ziemlich schnell: Wie kann man im Internet
Geld verdienen? Eine gute Frage. Wie macht man aus der Spielwiese von Hackern, Wissenschaftlern und Studenten ein lukratives Business? Wird das Internet wirklich zu einem weltweiten Warenmarkt, auf dem Produkte ihre Besitzer wechseln und per Kreditkarte und "digitalem Bargeld" bezahlt werden? Bei immateriellen Dingen wie Software und Musik mag das funktionieren, aber bei vielen Produkten kann man sich schwer vorstellen, sie auf digitalem Weg zu kaufen, ohne sie vorher im realen Leben begutachtet zu haben. Die Umsatzzahlen im Internet sind denn auch eher bescheiden. 1994 wurde laut einer Untersuchung des Simba-Instituts gerade mal 13 Millionen Dollar durch Handel im Internet umgesetzt. Diese Marktforschungsstudie rechnet zwar mit Wachstumsraten von 6000% und einem Marktvolumen von einer Milliarde Dollar im Jahr 1998. Doch die ganzen dicken Dollars sind das auch noch nicht... Von viel höherem kommerziellen Interesse ist das Netz meiner Ansicht nach als Werbemedium. Auch konventionelle Medien leben ja im wesentlichen davon, zielgruppengerechtes Werbeumfeld zu sein - diese Sonderbeilage ist ein gutes Beispiel dafür. Dabei steht das Netz verglichen mit anderen Medien recht gut da: Nach dem Third WWW User Survey des World Wide Web Consortiums und des National Centers for Supercomputing Applications vom Mai 1995 sind typische Websurfer im Durchschnitt 35 Jahre alt und verfügen über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 69 000 US $. Laut einer Studie der Schweizer Werbeagentur Thomas Bollinger sind sie überdurchschnittlich gebildet, weltoffen, spielfreudig und neuen Trends gegenüber aufgeschlossen. Sie investieren viel Zeit und Geld in ihre Hobbies und sind überhaupt die perfekten "Innovatoren und Frühadopter" - also genau die Zielgruppen, nach denen sich Werbetreibende die Finger lecken. Ein weiterer Vorteil des Internets ist die exakte Belegbarkeit der Werbekontakte. Ein Hauptproblem ist ja, daß man nie so genau weiß, wen man mit seiner Werbung tatsächlich erreicht. Die Hälfte des Geldes, das man für Werbung ausgibt, so ein geflügeltes Wort der Branche, ist zum Fenster herausgeworfen - man weiß nur leider nicht, welche Hälfte. Um die Streuverluste möglichst gering zu halten, werden Unsummen in Umfragen, Mediaanalysen und Einschaltquotenmessungen investiert. Ob die dabei gewonnenen Daten aber tatsächlich glaubwürdig sind, ist strittig. Das TV-Quotenmessverfahren der GfK steht zum Beispiel immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Die einen beschweren sich darüber, daß Zweitgeräte in Jugendzimmern nicht gemessen werden, die anderen wünschen sich, daß auch Fernseher in Hotelzimmern und Büros erfaßt werden, manche bezweifeln grundsätzlich, daß 4400 Panel-Mitglieder die Gesamtheit der deutschen TV-Konsumenten repräsentieren können. Die Zugriffszahlen auf einen Server im World Wide Web sind dagegen exakt nachzuweisen. Gerade liegt zum Beispiel die aktuelle Statistik des VH-1derlands vor mir. Gestern war ein netter, durchschnittlicher Tag mit insgesamt 13612 registrierten Zugriffen. Die Zahl der Zugriffe entspricht dabei nicht der Zahl der Besucher. Erfahrungsgemäß erzeugt jeder Besuch des VH-1derlands im Durchschnitt ca. 30 Zugriffe, jeden Tag schauen etwa 350 bis 400 Netsurfer vorbei. Unsere Home Page wurde gestern 430mal abgerufen, die News-Seite 116mal, der Führer durch die Netzwelt 100mal, die Charts 98mal und das Gästebuch, in das die Besucher ihre Meinung eintragen können, 104mal. Dabei wurden 1335 Seiten von Deutschland aus angesteuert, 293 aus den USA, 25 aus Österreich, 14 aus Großbritannien, 13 aus Ungarn und 12 aus Schweden. Das sind noch keine gigantischen Zahlen - aber dafür harte. Und sie werden wachsen, daran besteht kein Zweifel, denn die Nutzerzahlen des Internets steigen nach wie vor steil an. TV MovieOn verzeichnet bereits über 40 000 Zugriffe pro Tag. HotWired, der Internet-Ableger des Wired-Magazins, bis zu 600 000 Zugriffe, Yahoo, der Web Guide der Stanford-Uni, sogar mehr als eine Million. Ich weiß nicht, wie viele Zugriffe bei einem durchschnittlichen Besuch von HotWired anfallen, doch wenn wir einfach mal annehmen, daß es ebenfalls 30 sind, würden täglich bis zu 20 000 Menschen aus aller Welt ihren Web- Browser auf www.hotwired.com einstellen. HotWired ist ein gutes Beispiel dafür, daß ein Web Site schon heute ein Geschäft sein kann. Die Seiten des ständig aktualisierten Web- Magazins aus San Francisco werden von Sponsoren präsentiert. Pro Sponsor und Monat kassiert HotWired 15 000 $, kommt so auf einen monatlichen Umsatz von schätzungsweise 250 000 $ und arbeitet damit schon jetzt profitabel. Natürlich ist HotWired ein Ausnahmefall - es profitiert vom Kultstatus des Wired-Magazins und wird von vielen Werbetreibenden als Experimentierplattform benutzt, auf der sie ausprobieren können, welche Art von Werbung im Netz funktioniert. Auch Nielsen, der amerikanische Marktforschungsgigant, der in den USA für die Messung der Einschaltquoten zuständig ist, hat sich HotWired als Partner ausgesucht, um Werbeerfolg im Web zu quantifizieren. Werbung erscheint in HotWired in Form eines bescheidenen Streifens, der am oberen Rand der Seite zwar gut ins Auge fällt, aber nicht weiter stört. Erst wenn man auf diesen Streifen mit der Maus klickt, erscheint eine Folgeseite. Hat der Werbekunde bereits einen eigenen Server, kann man auch direkt darauf verzweigen. Diese Art, Webvertising zu plazieren, halte ich für richtungsweisend. Unterbrecherwerbung wie im Fernsehen wäre im Netz unvorstellbar. Müßte man erst Werbung über sich ergehen lassen, um dann auf die gewünschte Seite zu gelangen, würde sie vermutlich von niemandem mehr angeklickt werden. Das Abrufen von Seiten über das Netz kostet nun einmal Zeit und Geld. Im Unterschied zum Fernsehen und zum Radio sitzt beim Web der Empfänger am längeren Hebel. Webvertising muß also etwas ganz anderes leisten als Werbung in herkömmlichen, nicht-interaktiven Medien. Dort wird man genötigt, sich etwas anzusehen, was man eigentlich gar nicht haben will. Deshalb muß die Werbung so witzig, originell und ansprechend gestaltet sein, daß man von seinem ursprünglichen Widerwillen absieht, und die Werbung trotzdem guckt, weil sie einfach gut gemacht ist. Im Web ist der Ansatz ein anderer. Zunächst transportiert ein kleiner Werbestreifen fast nur das Logo des Werbetreibenden - vergleichbar dem Logo-Aufdruck auf dem Plakat einer Veranstaltung, die er sponsort. Ein Markenartikler könnte zum Beispiel eine beliebte Rubrik oder eine nützliche Service-Leistung im Web präsentieren. Richtig interessant wird es aber erst, wenn der Benutzer tatsächlich auf den Streifen klickt, um zu sehen, was passiert. Die Frage heißt jetzt nicht mehr: wie lasse ich den Benutzer vergessen, daß er die Werbung eigentlich nicht haben will sondern: wie bringe ich ihn dazu, daß er sie haben will, und sogar bereit ist, dafür etwas zu tun. Hier stellen sich für Werber ganz neue Anforderungen an ihre Kreativität. Wie macht man die Leute so neugierig auf das, was hinter dem Streifen auf sie wartet, daß sie tatsächlich darauf klicken und sich damit beschäftigen? Ins Gästebuch des VH-1derlands hat ein cleverer Websurfer einen Hyperlink auf seine persönliche Seite eingebaut, hat sie jedoch als "Cindy Crawford Nude" getarnt. Hat funktioniert, gebe ich zu - aber diese Art der Irreführung könnte sich ein Werbetreibender wohl nicht leisten... Eine erfolgversprechende Methode, die Leute zum Klicken zu bringen, ist sicher, daß es etwas zu gewinnen gibt. Ein weiterer Vorteile dieser Methode: man bekommt ein direktes Feedback vom Benutzer, das sehr aufschlußreich sein kann. Bei Gewinnspielen in Zeitschriften mit Teilnahmekarten und Coupons sind die Rücklaufquoten sehr niedrig. Wer macht sich schon die Mühe, einen Coupon auszufüllen und zur Post zu bringen? Im Internet gehört der Dialog hingegen ganz selbstverständlich zum Medium dazu. Die Schwelle, kurz eine E-Mail zu schicken oder seine Meinung in ein Formular einzutragen, ist so niedrig, daß sie fast jeder überspringt. Von den ca. 400 täglichen Besuchern des VH- 1derlands schreiben immer etwa zehn etwas ins Gästebuch oder schicken E- Mail an die Redaktion. Hätte ein Fernsehsender das gleiche Verhältnis von Zuschauerzahlen und Zuschauerpost wie wir, würde er unter Bergen von Post ersticken... Der Betreiber eines Web-Mediums kann seinem Werbekunden jeden Tag ein paar interessante und exakt belegbare Zahlen geben. Etwa so: "1317 Benutzer haben heute die Seite mit Ihrem Werbestreifen abgerufen. Davon haben 412 auf den Streifen geklickt. 156 haben beim Gewinnspiel eine Antwort-E-Mail geschickt." Die Verhältnisse dieser Werte zueinander sagen eine Menge über die Intensität der Beschäftigung mit einer Werbebotschaft und über ihren Erfolg aus. Es heißt, das Internet sei ein werbefeindliches Medium. Das ist sicher richtig für Werbung, die die Regeln des Netzes außer Acht läßt - wie etwa die in Tausende von Newsgroups hineingemüllte Werbe-Junk-Mail der Anwälte Canter und Siegel, die einen Sturm der Entrüstung in der Netzgemeinde auslöste. Niemand der 200 000 eingeschriebenen Nutzer von HotWired scheint sich hingegen daran zu stören, daß Wired's Cyberstation ein durch und durch kommerzielles Unternehmen ist. Werbung, die die Eigenheiten des Webs intelligent miteinbezieht, wird nur bei ganz hartgesottenen Internet- Anarchisten auf Widerstand stoßen. Alles spricht dafür, daß das Web eines der interessantesten Werbemedien überhaupt werden wird. Aaron Koenig ist Kreativdirektor des MME MedienLabors, das für die TV-Produktionsfirma MME an der Entwicklung neuer Medien arbeitet. |