Florian Rötzer
Gelegentlich wird noch immer das Bild propagiert, daß die
Computerfreaks einsam vor ihren Monitoren sitzen und dort
solipsistisch sich in den künstlichen Welten herumtreiben. Mit
der Möglichkeit aber, den Computer über ein Modem mit dem
Telefonnetz zu verbinden, hat sich ein neuer Modus der
Kommunikation eröffnet, der immer mehr genutzt wird, obwohl
damit niemand gerechnet hatte. Netze wie Internet oder
Compuserve für Computerkonferenzen oder für Bulletin-Board-
Systeme, mit denen man Nachrichten öffentlich austauschen
kann, oder für elektronische Briefe, die sich privat an
jemanden richten lassen, breiten sich mit schneller
Geschwindigkeit aus. Millionen von Menschen nutzen weltweit
bereits die Möglichkeit, nicht nur Informationen aus einem
Archiv abzurufen, sondern miteinander aus der Ferne in
Beziehung zu treten, sich irgendwo einzumischen oder einfach
das Gespinst an weltweiter Kommunikation zu durchreisen. Für
alle, die schnell Informationen austauschen oder in eine
Diskussion eintreten wollen, sind die Computernetze inzwischen
zu einem unabdingbarem Forum geworden. An ein Netz angeschlossen zu sein, being wired, ist der neue Trend, der offenbar deswegen so attraktiv ist, weil der Austausch in Echtzeit nicht mündlich wie beim Telefon oder audiovisuell wie etwa beim Bildtelefon oder Video- Conferencing, sondern in der Distanz des Schriftlichen geschieht. Möglicherweise werden diese "neuen sozialen Beziehungen im Zeitalter des Computers", die Howard Rheingold in seinem neuesten Buch beschreibt, durch Techniken wie Cyberspace noch vertieft, weil man hier auch seinen visuellen Fernling so gestalten kann, wie man für die anderen erscheinen möchte, aber schon jetzt ist der Reiz groß genug, mit beliebigen anderen, die sich irgendwo auf der Welt befinden, in Kontakt zu treten, Informationen auszutauschen, einfach nur zu schwätzen oder in irgendeinem MUD gemeinsam zu spielen. Solche Kommunikationsmöglichkeiten, die zwar Geld kosten, aber noch kaum kontrolliert werden, lassen sich auch von politischen Gruppen nutzen, um sich schnell und über große Distanzen hinweg zu informieren und zu organisieren. In der letzten Zeit wurden wir darauf aufmerksam gemacht, daß auch die rechte Szene offenbar dieses Medium verwendet. Noch finden in den Computernetzen auch die exotischsten Gruppen und Minderheiten ihr Forum. Rheingold, Herausgeber der bekannten Whole Earth Review und Autor des Buches über "Virtuelle Welten" im Cyberspace, bekennt, daß er seit 1985 täglich zwei Stunden und sieben Tage in der Woche sich an das mit der Zeitschrift verbundene Netz WELL anschließt. Begeistert berichtet er, wie in solchen Netzen Gemeinschaften von zunächst einander Unbekannten entstehen, die sich selbstlos helfen, einander intim kennenlernen, in tele-sexuelle Beziehungen treten, einander anmachen oder auch bekämpfen und dann manchmal im echten Leben Freunde werden oder heiraten. Entstanden als Produkt der militärischen Rüstung haben sich die weltweiten Netze oft anarchisch entwickelt und dienen heute überwiegend dazu, soziale Beziehungen herzustellen. Oft etwas weitschweifig und umständlich berichtet er von seinen eigenen Erfahrungen und Begegnungen mit den Netz-Aktivisten, von den Rollenspielen in den MUDs, von den Vorzügen und Schwierigkeiten mit der Identität der Kommunizierenden, von der Geschichte der Netze, den verschiedenen Verwendungen in den USA, in Frankreich und Japan, den Möglichkeiten einer anderen Erziehung und vor allem mit der damit verbundenen sozialen Utopie einer "elektronischen Demokratie" auf einer "virtuellen Agora". Online-Gemeinschaften zeichnen sich für Rheingold durch freien Ausdruck, freie Verbindungen, Gleichheit und persönliches Engagement aus. Natürlich aber können die telesozialen Kommunikationsformen auch eine Art Sucht auslösen, Schwierigkeiten im sozialen Umgang mit anderen Menschen im wirklichen Leben verstärken oder vandalisches Verhalten erlauben. Gerade weil man als Person mit seiner Identität, mit seinem Geschlecht, seiner sozialen Herkunft, seiner Hautfarbe oder Nationalität spielen kann, man sie nicht preisgeben muß, eröffnen sich neue sozialen Beziehungen, die für viele die Kommunikation mit Fremden erleichtern, weil die moralischen Schranken des Face-to-face-Kontaktes entfallen. Für Online- Gemeinschaften kann dies aber auch fatal sein: "Antisoziales Verhalten ist im Netz nicht selten. Rassistische und homosexuellenfeindliche Ausbrüche sind keine Seltenheit. Feindselige Individuen programmieren Bots und überfluten den Kanal mit Strömen von Zeichen. Es ist ärgerlich, wenn irgend jemand auf der Welt damit anfängt, Schmähungen, Pamphlete, Inhalte von Wörterbüchern oder wirre Zeichen loszuschicken." Rheingold, der sich selbst gerne als 68er sieht und die Übernahme der Computernetze durch Graswurzel-Aktivisten aus den dezentralisierenden Tendenzen dieser Zeit begreift, verweist allerdings auch darauf, daß jetzt die Kommerzialisierung der Netze ansteht - und damit das Ende der Pionierzeit: "Mit wachsender Geschwindigkeit entwickelt sich das Medium von einem staatlich unterstützten, aus Steuergeldern finanzierten, relativ wenigen Restriktionen unterworfenen öffentlichem Forum zu einem Medium, das von privaten kommerziellen Unternehmen in Beschlag genommen wird." Die größten Unternehmen aus dem Bereich der Kabelgesellschaften, der Unterhaltungsbranche, der Computerhersteller und der Telekommunikation beginnen sich bereits zusammenzuschließen, um Macht über die Informationsautobahnen und darüber zu gewinnen, was auf ihnen zu welchem Preis transportiert wird. Dann wird es darum gehen, aus den Menschen vor allem zahlende Konsumenten zu machen, die man zudem besser als jemals zuvor überwachen kann: "Das größte Problem liegt dabei darin, daß das, was gemeinhin als Privatsphäre bezeichnet wird, in vielfacher Weise untergraben werden kann, wenn die Cyberspace-Technologien es so leicht machen, detaillierte Informationen über Individuen zusammenzustellen und zu verbreiten. Sobald wir uns der komfortablen elektronischen Kommunikations- und Transaktionsmedien bedienen, hinterlassen wir unsichtbare digitale Spuren." Gefährlich ist dies deswegen, weil wir immer mehr Transaktionen ausüben, die als Daten gespeichert werden können, weil es immer mehr miteinander vernetzte Datenbanken geben wird und weil auch die Massenmedien immer mehr wie beim interaktiven Fernsehen über digitale Kanäle laufen werden. Man könnte beispielsweise "knowbots" benutzen, die bislang dazu verwendet werden, um bestimmte Informationen aus den weltweit zirkulierenden Nachrichten zusammenzusuchen, die dann aber alle Spuren sammeln könnten, die ein einzelner in den Netzen hinterläßt, wenn er fernsieht, mit Kreditkarte einkauft, irgend etwas über Teleshopping erwirbt oder einfach nur mit jemandem anderen kommuniziert. Es gibt sogar bereits ein Netz, mit dem es möglich ist, auf den Speicher der Benutzer zuzugreifen. Die Enthusiasten der Computernetze könnten so, wie Rheingold selbstkritisch anmerkt, nur diejenigen sein, die unbezahlte Werbung machen und für gesellschaftliche Akzeptanz der neuen Technologie sorgen. Jetzt geht es also darum, Gesetze und Normen für die Bereitstellung und Verwendung von Computernetzen zu entwickeln, damit sie nicht restlos kommerzialisiert und zur Überwachung benutzt werden können. Jetzt noch hätten wir, so glaubt Rheingold, die Möglichkeit, Weichen zu stellen und alternative Netze aufzubauen oder zu erhalten. Noch aber wissen die wenigsten, was bereits demnächst auf sie zukommen wird. Rheingolds Buch, schwankend zwischen Optimismus und Pessimismus, gibt besonders für diejenigen, die noch nicht angeschlossen sind, wertvolle Informationen und zeigt, was sie erwarten können, wenn sie sich, ausgerüstet mit Computer und Modem, in die Netze zum Plauschen oder Spielen begeben.
Howard Rheingold: Virtuelle Gemeinschaft. Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers. Addison-Wesley. 392 Seiten. DM 48.-
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