Die konventionelle Meinung ist, das die elektronische
Technologie uns von unserem Körper und von der verkörperten
Welt entfernt. In diesem Punkt scheinen die Enthusiasten der
neuen Technologien und ihre Kritiker übereinzustimmen. Die
Enthusiasten sprechen davon, den Körper zurückzulassen und uns
von unserer physischen Verankerung zu befreien, damit wir im
Cyberspace spielen und arbeiten können. Die Kritiker fürchten,
was die Enthusiasten so treuherzig voraussagen: Beim Betreten
der elektronischen Welt werden wir den Kontakt mit der
physischen, verkörperten Erfahrung verlieren. Das Verhältnis
zwischen den neuen Medien und unserem Verständnis von unserem
Körper ist jedoch komplizierter und mehrdeutiger, als die
Kritiker und Enthusiasten meist bemerken. Es stimmt, das die
rein sprachlichen Formen der elektronischen Kommunikation ihre
Benutzer entkörpern. Elektronische Post beraubt beispielsweise
die Benutzer buchstäblich ihrer Stimme, ebenso wie dies die
traditionelle Post und andere Formen der schriftlichen
Kommunikation in der Vergangenheit gemacht haben. Die
Entkörperung kann auch ein Vorteil sein. Einige Lehrer sagen
beispielsweise, das Email und Conferencing in Echtzeit dabei
helfen, geschlechtliche und ethnische Unterschiede in ihren
Klassen zu negieren. Wenn Studenten einander schreiben, dann
können sie nicht sehen, ob ihr Partner ein männlich oder
weiblich, schwarz oder weiß ist. Traditionelle Hierarchien
brechen zusammen. Weibliche Studenten oder Angehörige von
Minderheiten werden vielleicht ausführlicher und freier
schreiben, als sie in der Klasse sprechen würden. Auf der
anderen Seite ermöglichen es andere Computeranwendungen
(hochwertige Grafiken, digitalisiertes Video und Virtuelle
Realität), das die Benutzer die verkörperte Anwesenheit des
anderen sehen, hören und (in beschränkter Form) darauf
reagieren können. Solche Anwendungen werden immer populärer
und scheinen den alphabetischen Text zu ersetzen, wann immer
dies möglich ist. Anders als die sprachlichen Technologien
holen diese visuellen und auditiven Technologien den Körper in
das Internet oder in den Cyberspace. Der Trend zur
Visualisierung im Cyberspace scheint zum postmodernen Diskurs
der letzten beiden Jahrzehnte zu passen. Dieser Diskurs einer
Reihe von Autoren von Michel Foucault bis Donna Haraway,
schlägt eine Epistemologie des Körpers vor. Jedes Wissen ist
verkörpertes Wissen. Als Menschen wissen wir etwas kraft
unserer körperlichen und sozialen Situationen und nicht durch
einen Prozeß abstrakten und interesselosen Denkens. Diese
postmoderne Idee des verkörperten Wissens hat auch in die
populäre Kultur Eingang gefunden, und es ist kein Zufall, daß
die neuen Medien mehr und mehr dazu benutzt werden, virtuelle
Orte für ein situationsbezogenes Lernen zu konstruieren. Die
Frage ist allerdings, ob diese virtuellen Orte eine
Bestätigung oder eine Parodie des postmodernen Diskurses sind.
Zwei elektronische TechnologienMehr als zwei Jahrzehnte lang ist der Computer als eine Schreibtechnik benutzt worden. Deshalb kann er in eine Tradition eingereiht werden, die solche Techniken wie die Papyrusrolle, den Kodex, die Druckpresse oder die Schreibmaschine einbegreift. Textverarbeitung ist die traditionellste der neuen Schreibformen, die durch den Computer ermöglicht wurden. Es ist leichter, seinen Text mit einem Textverarbeitungssystem als mit einer Schreibmaschine oder mit Stift und Papier zu überarbeiten und zu verbessern. Der Charakter der schriftlichen Kommunikation ändert sich dadurch nicht beträchtlich. Auf der anderen Seite bilden elektronische Post im Internet, Textdatenbanken und sprachlicher Hypertext eine neue Kommunikationsform. Doch all diese Anwendungen sind nur Verbesserungen der Technik des alphabetischen Schreibens, die von den Semiten und den Griechen im ersten oder zweiten Jahrtausend vor Christus erfunden wurden. In jedem Medium ist die alphabetische Schrift ein System von arbiträren Zeichen. Eine Email-Botschaft auf einer Computertastatur einzugeben ist dasselbe, als wenn ein Grieche aus dem fünften Jahrhundert eine Papyrusrolle beschreibt: der Prozeß der Umsetzung von lebendiger Erfahrung in den arbiträren Code der geschriebenen Sprache. Die Geschichte der Schrift ist dieses Zusammenspiel von entkörperten Zeichen und der materiellen Welt, auf die sich diese Zeichen beziehen.Programme für elektronisches Schreiben (Textverarbeitung, Email, Hypertext und so weiter) werden nun durch Programme ergänzt und vielleicht endgültig ersetzt, mit denen die Benutzer anstatt alphabetischen Text Bilder und Videos sehen. Obgleich seit den 60er Jahren mit computergrafischen Daten experimentiert wurden, wurden Grafiken erst in den letzten Jahren weit verbreitet. Erschwingliche Computer können jetzt überzeugende Grafiken und sinnvolle Videobilder mit dem Ergebnis erzeugen, daß Millionen von Benutzern ihre eigenen visuellen und auditiven Darstellungen herstellen können. Überdies haben im letzten Jahrzehnt hochwertige Computergrafiken und -animationen, die auf Workstations und Mainframes produziert wurden, den Charakter von Fernsehen und Film verändert. Animationen in den Kinofilmen und im Fernsehen sind überaus populär. Die Zahl der Menschen ist erheblich größer, die die computergenerierten Dinosaurier in Jurassic Park oder die elektronisch animierten Figuren in Aladdin gesehen haben, als diejenige, die jemals eine Email versendet oder ein Textverarbeitungssystem benutzt haben. Der Computer ist jetzt nicht mehr nur ein Mittel, um Symbole zu manipulieren, er wurde zu einem Mittel, um wahrnehmbare Welten zu schaffen und zu manipulieren. Für die Hunderten von Millionen, die Film oder Fernsehen sehen, und für die Millionen, die Desktopmaschinen verwenden, hilft der Computer als Bildmaschine dabei, den visuellen Raum unserer Kultur neu zu definieren. Im Schreibraum eines Textverarbeitungssystems kann der menschliche Körper nur als Metapher auftauchen, als Charakter - genauso, wie der Körper in jeder Schreibtechnologie als Charakter eingeschrieben wurde. In dem von Computergrafiken definierten Raum kann der Körper jedoch mehr als nur metaphorisch erscheinen. Der Benutzer kann herumgehen und Gegenstände sowie andere Körper sehen. Er kann mit diesen Körper interagieren und sein noch fragmentierter eigener Körper wird im virtuellen Raum anwesend. Der Körper in der Virtuellen Realität.Virtuelle Realität ist eine der bemerkenswertesten Fortschritte im Bereich der Computergrafik. In Echtzeit arbeitend bietet der Computer eine ganze künstliche visuelle Umwelt. Der Benutzer trägt meist einen Helm, in dem sich kleine Bildschirme befinden, die dicht vor den Augen sind. Auf jedem Bildschirm kann der Benutzer nur sehen, was der Computer ihm zeigt. Auf dem Helm ist ein Trackingsystem befestigt, so daß der Computer, wenn der Benutzer seinen Kopf dreht, die Perspektive in zutreffender Weise verändert. Der Benutzer befindet sich daher in einer grafischen Welt. Es gibt nichts außerhalb oder jenseits dieser Welt, und er kann aus ihr nur entkommen, wenn er den Helm abnimmt. In dieser virtuellen Welt verschwindet der Großteil des Körpers des Benutzers. Manchmal wird der Benutzer auch einen Datenhandschuh tragen, der Sensoren enthält, durch die der Computer die greifenden und zeigenden Fingerbewegungen verfolgen kann. In diesem Fall erscheint die Hand mit dem Handschuh in der virtuellen Szene: sie schwebt vor den Augen des Benutzers, aber sie ist nicht mit dem Arm verbunden. Normalerweise wird der Rest des Körpers nicht modelliert. Der Benutzer kann ein Gesicht haben, aber das Gesicht wird nicht auf seine eigenen Gesichtsbewegungen reagieren. So besitzt der Benutzer bestenfalls einen fragmentierten oder unvollständigen Körper. Die Enthusiasten scheinen, worauf ich bereits hingewiesen habe, von der Fragmentierung des Benutzers nicht beunruhigt zu werden. Der Science Fiction Autor William Gibson beschreibt in Neuromancer und anderen Romanen elektronische Cowboys, die ganz gierig darauf sind, ihren Körper zu verlassen, um in den Cyberspace einzutauchen. Autoren, die keine Fiktionen schreiben, scheinen sich wie Meredith Bricken sicher zu sein, daß man in der Virtuellen Realität "keinen Körper braucht. Man kann ein herumschwebender Gesichtspunkt sein. Man kann ein verrückter Hutmacher oder eine Teekanne sein. Man kann sich nach dem Rhythmus eines Liedes vor- und zurückbewegen. Man kann ein winziger Tropfen im Regen oder in einem Fluß sein. Man kann sein, was man sich immer vorgestellt hat, sein zu sollen. Man kann seinen Gesichtspunkt auf einen Gegenstand, auf einen Prozeß oder auf den Gesichtspunkt in der Welt einer anderen Person übergehen lassen." (Bricken, S. 372) Theoretikerinnen wie Katherine Hayles, Allucquere Stone oder Anne Balsamo haben diese Rhetorik der Enthusiasten kritisiert. Sie stimmen mit den Enthusiasten überein, daß die Virtuelle Realität darauf hinzielt, den Benutzer von seinem Körper zu befreien. Aber dieses Absehen vom Körper ist für sie gerade das Problem, weil für das menschliche Wissen und für das menschliche Sein selbst die Verkörperung wesentlich ist. Stone sagt, daß "die Konstrukteure des Cyberspace eine Zeit kommen sehen, in der sie den Körper vergessen können. Aber es ist wichtig daran zu erinnern, daß die virtuelle Gemeinschaft aus dem Körperlichen entsteht und wieder in das Körperliche zurückkehren muß ... Das Vergessen des Körpers ist ein alter cartesianischer Trick ..." (Stone, S. 113) Das Verständnis der Virtuellen Realität von Bricken klingt nicht wirklich cartesianisch. Anders als Descartes will Bricken nicht ihren Körper verlieren, um sich aus der Erfahrung in einen Bereich reinen Denkens zurückzuziehen. Sie will vielmehr verschiedene verkörperte Perspektiven ausprobieren - sie will ein Regentropfen oder eine Teekanne werden. Sie sehnt sich nicht nach einer Welt hinter dem Bereich des Körperlichen, sie will eine permanent sich verändernde, sichtbare Welt, die der Benutzer frei erkunden kann. Vielleicht entkörpert die Virtuelle Realität für Bricken und andere Enthusiasten den Benutzer gar nicht wirklich. Sie markiert eine neue Weise der Verkörperung, in der der Benutzer zwischen verschiedenen Gesichtspunkten wandern und mehrere verschiedene einnehmen kann. Virtuelle Realität kann immer noch den Eindruck der Präsenz erwecken, der unsere Erfahrung der physischen Welt charakterisiert. Dieses Gefühl der Präsenz wird von einer virtuellen Umgebung veranschaulicht, die im Georgia Institute of Technology entwickelt wurde. Forscher bauten drei virtuelle Räume: einen Balkon, von dem aus man von einem Gebäude auf die Straße hinuntersehen kann, einen offenen Fahrstuhl im Innenhof eines großen Hotels und eine Reihe von Hängebrücken zwischen zwei Gebäuden. ( Siehe Abbildungen 1 und 2) In diese Räume versetzten sie Menschen, die unter Agoraphobie und Höhenangst litten. Sie wurden aufgefordert, auf den Balkon zu treten, den Fahrstuhl zu benutzen oder über die Brücke zu gehen. In der virtuellen Umgebung traten dieselben krankhaften Reaktionen auf, die die Versuchspersonen auch an hochgelegenen Orten in der physikalischen Welt gehabt hätten: Angst, schwitzende Hände usw. (Vgl. Hodges)Abildungen<--> Starke Ängste wie die Agoraphobie gehören wohl zu den körperlichsten der menschlichen Erfahrung. Höhenangst ist per definitionem ein verkörpertes Wissen. Der Körper erfährt es nur, sofern und wenn er sich in einer solchen Situation befindet. Wenn Virtuelle Realität den Benutzer tatsächlich entkörpern würde, dann sollte er in einem virtuellen Raum keine solche Phobie empfinden. Aber in dem Experiment mit der Agoraphobie konnte der Benutzer keine kritische Distanz von der Szene aufrechterhalten. Obgleich sie gänzlich auf der visuellen Erfahrung beruhte, ist diese Virtuelle Realität geeignet, die angstvolle Präsenz zu schaffen und aufrechtzuerhalten, die der Phobiker empfindet. Wie wird solch ein Eindruck der Präsenz erzeugt? Er verdankt sich nicht der treuen Abbildung jeden Bildes. Wie die Abbildungen oben zeigen, ist das virtuelle Bild ziemlich unausgeführt und gleicht eher einem Cartoon. (Das trifft für fast alle virtuellen Umgebungen zu, da es nahezu unmöglich ist, photorealistische Bilder in Echtzeit bei Computeranwendungen aufzubauen.) Der Eindruck der Präsenz kommt eher aus dem Sachverhalt, daß die Szene auf die Bewegungen des Besuchers reagiert. Das löst beim Benutzer den Eindruck aus, von ihr umgeben zu sein. Virtuelle Realität und Computergrafiken sind also im allgemeinen keine cartesianischen Techniken. Der Computer als Mittel für eine numerische Analyse und bis zu einem gewissen Grad als Schreibumgebung sind cartesianisch. Als Berechnungs- oder Schreibsystem verarbeitet der Computer arbiträre Symbole nach seiner diskreten Logik. Doch der Computer als Bildmaschine ist anders: er bietet dem Benutzer eine Welt an, die man sehen, nicht nur lesen kann. In der Virtuellen Realität zählt nur, was man sehen und (manchmal) greifen kann. Meistens ist die virtuelle Welt nicht sehr symbolisch. In der Virtuellen Realität gibt es wenig oder gar keinen Text. Die Auflösung der kleinen Bildschirme im Helm reicht nicht aus, um einen lesbaren Text zu erzeugen. Die visuellen Elemente in einer virtuellen Umgebung sind überdies nur selten allegorisch. Es gibt kaum Ideen, die "hinter" der virtuellen Szene stehen und sie begründen. Das wird einem Benutzer klar, der zu weit in einer Richtung fliegt. Die meisten virtuellen Welten verfügen über keinen "Kollisionsdetektor", d.h. sie können den Benutzer nicht davon abhalten, durch Wände zu gehen. Wenn der Benutzer weit genug geht, dann wird er aus dem virtuellen Modell in den leeren Raum gelangen. In diesem Augenblick wird sich der Benutzer bewußt, daß die Virtuelle Realität eine Illusionstechnik ist. Wie der Szenenaufbau eines Hollywoodstudios zeigt eine virtuelle Umgebung dem Benutzer nur die Oberfläche der visuellen Welt, gerade genug, um den Eindruck der Präsenz zu erzeugen. Wir könnten allerdings sagen, daß Virtuelle Realität dazu intendiert, zum täuschenden Malin-Genie Descartes' zu werden. In den Meditationen stellte sich Descartes einen Dämon vor, der ihn so perfekt täuschen könnte, daß die von ihm kommenden Visionen sich für ihn nicht mehr von der wirklichen Welt unterscheiden ließen. Die Enthusiasten der Virtuellen Realität träumen davon, genau solch eine Täuschung erzielen zu können: einen virtuellen Raum, der vom "realen" Raum ununterscheidbar wäre. Dieses Ziel liegt für die Virtuelle Realität in der voraussehbaren Zukunft noch jenseits der Reichweite. Selbst die schnellsten Bilder können nicht die reichhaltigen visuellen Details (die Zahl der adressierbaren Polygone) darstellen, die benötigt werden, um die von uns bewohnte Welt nachzuahmen. Solche technischen Beschränkungen haben die Enthusiasten nicht davon abgehalten, sich eine perfekte VR-Maschine vorzustellen. Sie fragen sogar schon nach den kulturellen Auswirkungen einer solchen Virtuellen Realität, als ob es diese in naher Zukunft geben würde. VR- Technologie wird uns vielleicht die ganze visuelle und auditive Welt, an die wir gewöhnt sind, nicht geben können, aber dieses Scheitern bedeutet nicht, daß diese Technologie der Idee der Verkörperung feindlich gegenüberstünde. Sie bestätigt vielmehr die postmoderne Meinung, daß all das, was wir wissen können, eine wahrgenommene Welt ist, daß es nichts hinter der Wahrnehmung gibt, auf das sich das Ich berufen könnte. Die elektronische PerspektiveGehen wir noch einmal zurück zu Meredith Bricken, die von der Virtuellen Realität begeistert ist. Sie betont, daß Virtuelle Realität es dem Benutzer erlaubt, verschiedene Perspektiven inzunehmen. Der Benutzer kann zu einem Gegenstand oder zu einer anderen Person werden und die Welt aus der Perspektive eines unbelebten Gegenstandes oder eines anderen Menschen sehen. Virtuelle Realität macht es für sie möglich, daß unsere körperliche, zumindest aber unsere visuelle Erfahrung flexibel wird. Wir bewegen uns von einem Darsteller zu einem anderen, nehmen nacheinander die Perspektiven von vielen Charakteren ein, indem wir einfach unsere visuelle Perspektive ändern. Bricken schreibt weiter: "Sich vielfältige Perspektiven aneignen zu können, ist eine mächtige Möglichkeit. Erst nachdem kleine Kinder in ihrer Entwicklung verstehen können, daß jeder Mensch aus einer anderen Perspektive wahrnimmt, können sie lernen, sich auf emphatische Weise auf andere zu beziehen." (Bricken, S.372) Bricken verbindet Virtuelle Realität so mit einer mächtigen und aktuellen kulturellen Idee: mit der Bedeutung von Empathie, die Welt so wie andere zu erfahren. Ebenso wie Malerei, Photographie und Film kann uns die narrative und dramatische Literatur einen anderen Gesichtspunkt erschließen. Dafür aber scheint die Virtuelle Realität am besten geeignet zu sein, weil wir hier einen anderen Gesichtspunkt einnehmen und aus ihm mit der Welt interagieren können. Jaron Lanier, ein Pionier der Virtuellen Realität, ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat behauptet, daß wir auch erfahren könnten, "wie es wäre, ein Molekül zu sein." (Ditlea, S.97) Das Einnehmen von neuartigen Gesichtspunkten wird so zu einem epistemolgischen Ideal: es entspricht der Weise, wie wir Dinge erkennen. Wir erkennen Dinge durch Identifikation, indem wir unsere Perspektive zeitweise mit den Dingen verbinden, von denen wir etwas wissen wollen. Keine Schreibtechnik kann den Identifikationsprozeß herstellen, den sich Lanier und Bricken vorstellen. McLuhan und andere haben behauptet, daß unsere Kultur im elektronischen Zeitalter wieder zu einer oralen Kultur zurückkehrt, daß die Welt zu einem globalen Dorf wird, das eher durch das gesprochene als durch das geschriebene Wort beherrscht wird. Es könnte jedoch sein, daß Fernsehen, Film und interaktive Computerbilder eine visuelle Kultur begünstigen, in der sowohl geschriebene als auch gesprochene Worte den Bildern untergeordnet sind. In dieser jetzt entstehenden visuellen Kultur wird das menschliche Selbst zu einem ständig wechselnden Gesichtspunkt, und die Empathie, die Fähigkeit, andere Gesichtspunkte einzunehmen, wird zur höchsten virtuellen Tugend. Die herrschende Rolle, die im Zeitalter des Buchdrucks durch den sprachlichen oder schriftlichen Gesichtspunkt eingenommen wurde, geht in unserem Zeitalter der elektronischen Kommunikation auf die visuelle Perspektive über. Wir sind zunehmend dazu geneigt, uns selbst, andere Menschen, Tiere und sogar Pflanzen oder unbelebte Objekte als alternative visuelle Gesichtspunkte zu begreifen. Selbst wenn Virtuelle Realität und andere Räume der elektronischen Kommunikation keine angemessene Repräsentation für den Körper erzeugen können, so triumphiert Verkörperung als eine Form des Wissens in diesen neuen Welten. Der Körper wird zum Ort, von dem wir auf die Welt schauen. Wir können unsere Körper in der Virtuellen Realität schnell wechseln, aber letztlich gibt es keinen anderen Weg, als einen Körper einzunehmen, doch können wir nirgendwo anders hingehen als zu einem anderen Gesichtspunkt. Wir können aus unseren gewohnten Körpern heraussteigen, aber wir können der Verkörperung ganz allgemein nicht entkommen. Der Körper kann im Cyberspace auf einen einzigen Punkt oder einen Vektor einschrumpfen, aber in diesem Zusammenschrumpfen verbindet er sich mit anderen Vektoren, um das Ganze des Cyberspace zu bilden, der nichts anderes ist als die Summe aller möglichen Gesichtspunkte.Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer Literaturangaben:
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