Graham McBeath und Stephen Webb

Städte, Subjektivität und Cyberspace



Gemeinschaften sind nicht am Grad ihrer Echtheit zu unterscheiden, sondern an dem Stil, in dem sie imaginiert werden. Benedikt Anderson, Imagined Communities (p.6)

Einführung

Es gibt viel Verwirrung über den Cyberspace. Vor allem Verwirrungen auf der Ebene jener Metaphern, welche verwendet werden, um seine Natur zu beschreiben. Hier gibt es im besonderen zwei Bilder, die uns als gegensätzlich scheinen, und die doch in vielen modischen Zeitschriften und Artikel über das Internet u.ä. häufig gemeinsam gebraucht werden, nämlich - Cyberspace als Gemeinschaft und Cyberspace als Stadt. Als Beispiele sei hier nur kurz verwiesen auf Howard Rheingolds neues Buch The Virtual Community (Die virtuelle Gemeinschaft) und Peter Hinssens Artikel ‘Life in the Digital City’ (Leben in der digitalen Stadt) in der ersten Ausgabe von Wired. Tatsächlich bezieht sich Rheingold in seinem Band in mancherlei Hinsicht auf das Cybernetz als Grundlage einer Gemeinschaft, d.h., das Zusammenkommen von Individuen zur Herstellung eines Gewebes persönlicher Beziehungen ebenso wie als Grundlage einer bürgerlichen Demokratie, als die sich dann ein digitaler Stadtstaat beschreiben läßt.

Internet Magazine betonen sowohl die Möglichkeit, Menschen in mehr oder weniger stark entwickelten Formen von Gemeinschaften zusammenzuführen, als auch die Möglichkeit, über die endlosen, ressource-reichen Meere des Netzes ohne sicheren Heimathafen zu segeln. Warum uns die Co-Präsenz jener beiden Begriffe zur Beschreibung von cybernetischen Relationen beschäftigt, ist die Tatsache, daß Gemeinschaft auf geschlossene Systeme und beständige Beziehungen anspielt, und Stadt auf Offenheit und Wechsel. Diese Differenz ist entscheidend zur Einordnung der verschiedenen Lebenswelten und der unterschiedlicher Arten, sich Raum anzueignen, die aus dem jeweiligen System resultieren. Gleichwohl porträtiert die Literatur den Cyberspace immer wieder als zugleich gekennzeichnet durch die Eigenschaften der Gemeinschaft und der Stadt.

Wir werden uns auf die Rolle der territorialen Einbildungs kraft bei der Konstruktion des Raums konzentrieren, und darauf, inwieweit die Metapher vom ‘Netz’ die Überlagerung von Stadt/Gemeinschaft und virtueller Stadt/virtueller Gemeinschaft erlaubt; d.h.: wir möchten den utopischen Antrieb dazu erforschen, sich offene, relativ unbestimmte Stadt-Räume (denn so erscheinen offene Räume vielen auf der subjektiven Ebene) als geschlossene Gemeinschafts-Räume vorzustellen. Außerdem werden wir darüber nachdenken, wie diesen unechten Räumen ein ‘objektives’ Korrelat in der Form des Netzwerk Modells des urbanen Raumes gegeben wurde, welches den eingeschlossenen Raum visualisiert. Dieser letztere Aspekt be stimmt die unbestimmte, doch gegebene Aufforderung, die Stadt als ein bedeutsames Ganzes wahrzunehmen. Es ist das Verhältnis des Vorbildes (Stadt) zu anderen geläufigen Bildern, den Raum (Cyber-Space) zu verstehen, welches die Grundlage dieses Papers bildet. Wir wollen, einfacher gesagt, Lesarten von Natur und Bedeutung des Stadt-Raums benutzen, um den CyberRaum und die ihn umgebenen Figuren zu hinterfragen und zu kritisieren.

Soweit wir begründete Parallelen zwischen der Art, wie wir uns Städte vorstellen und der, wie wir uns den Cyberspace vorstellen, ziehen können, werden wir in Analogie argumentieren. Dabei allerdings werden wir versuchen, einige der falschen Analogien zu untersuchen, die verwendet werden, um die Cyberwelt als ein Paralleluniversum zu unserer Welt zu ontologisieren - als einen abgetrennten Raum mit seinen eigenen Begriffen und Bedingungen, in den wir als Kommunikationsknoten eingelassen werden, als Identitäten, konstitutiert als Funktionen interner Bedeutungen des virtuellen Bereichs. Ein Teil des Problem ist die Tatsache, daß wir nicht nur dazu angehalten sind, den Cyberspace als einen selbst-konstituierenden Bereich anzusehen, sondern zugleich auf Ideen virtueller Gemeinschaften oder virtueller Städte eingehen müssen, die ihrerseits unmittelbar solchen Konzeptionen idealer Städte oder Gemeinschaft entlehnt wurden, die auf das Leben in der nicht-virtuellen Welt hin entworfen wurden. Die Sprache, die wir verwenden, um der Struktur des Cyberspace innezuwerden, trägt mithin Merkmale radikaler Dif ferenz und Gleichheit.

Gegen Ende des Papers werden wir zeigen, daß die Idee des Cyberspace als einer alternativen Struktur, in der neue Formen sozialer und intra-personaler Beziehungen vermittelt werden, illusorisch ist; daß der Cyberspace und die Weise, wie wir uns ihm gegenüber verhalten, sich wenig unterscheidet von der Art, in der Fin-de-Siècle Theoretiker wie Simmel und Kracauer die Phänomenologie der Stadterfahrungen und Bachelard die Bewegungen des poetischen Bildes beschrieben haben. Neben dem Hinweis auf die Macht der Metaphern von Stadt und Gemeinschaft werden wir zeigen, daß der Cyberspace zwar zumeist als Gemein schaft gedacht wird, jedoch besser als Stadt-Raum verstanden werden sollte, ungeachtet der versteinernden Effekte räumli cher Netzanalyen, welche die flaneurartige Rolle des subjektiven Bewußtseins, das von einem virtuellen Raum in den nächsten vorstößt, ersetzt haben. Wir sollten den Cyberspace als Bewegung betrachten, als einen individualisierten Fluß subjektiven Bewußtseins, und die Natur der Beziehung zwischen User und Cyberspace als dithyrambisch.

Die transzendentale und metaphysische Weise, über den Cyberspace zu reden, ist nichts anderes als eine Poetik des Raums, und so werden wir das Werk von Gaston Bachelard hinzuziehen, um die Momente dessen zu verstehen, was wir als absorbiertes Bewußtsein identifizieren werden - Geist, besetzt von seinen eigenen poetischen Bildern, und Bewußtsein, besetzt von seiner eigenen Aktivität, als gebe es keine Alternative. Vom theoretischen Standpunkt aus lautet unser Grundproblem: Wie ist die virtuelle Einbildungskraft konstruiert? Wie sehen ihre Umrisse aus? Und welche Beschreibung ist dem Fluß der Konstruktion jener Einbildungskraft angemessen? Wie eingangs angekündigt, werden wir zunächst einen Blick darauf werfen, wie Theoretiker den urbanen Raum konstruiert haben, und uns dann ansehen, inwieweit diese Lektüren erstens in einem falschen Verständnis vom Cyberspace sich spiegeln - und zweitens in dem, was wir für eine plausiblere, weniger magische Annäherung an den Cyberspace halten.

Die Stadt, entworfen als Phänomenologie von Gemeinschaft

Eines der großen Ziele urbaner Geographie war die Klärung der Frage, wie man die Stadt am besten darstellen könne - als eine kapitalistische Stadt mit Geldflüssen und Arbeitsabläufen; als einen ästhetisierten Raum à la Simmel; oder unter anderem auch als ein formales systemtheoretisches Netz aus Linien und Punkten, welche Kommunikations- und Transportmittel, Wohnorte oder Häuserdichte und so weiter markieren. Diese letztere Annäherung entwirft ein schematisches Diagramm, umgeben von definierten Stadtgrenzen, und angereichert (oder auch nicht) mit einer Anzahl sozialer, ökonomischer und politischer Faktoren. Eine solche Art des Entwurfs ist bekannt als Kontrolle von Systemanalysen, sie wird verwendet in den Verkehrskontrolleinrichtungen der Polizei, in Stadtplanungsbüros oder denen der Elektrizitätsge sellschaften, bei denen so die nationale Vernetzung dar gestellt wird. Eine entsprechende Rasterkarte einer Stadt enthält die Stadt, und wird zugleich ihren eigenen Regeln gemäß wachsen, wenn die Stadt wächst. Solch ein Blick auf die Stadt bietet uns eine rationalisierte Konstruktion derjenigen strukturell geregelten Angelegenheiten, welche Aufschluß über eine integrierte Gemeinschaft geben. Die Netzwerkanalyse unterstützt den Begriff der Stadt als Gemeinschaft. Sie tut dies durch den Einschluß von Raum, die Regulierung und Rationalisierung dieses Raums, und eine Sichtweise, welche die Stadt statt als anomischen, amorphen Sprawl als ein intern strukturiertes Ganzes darstellt, ein Ganzes, das sich aus der Interdependenz seiner Teile zusammenfügt. Allan Pred bezieht sich auf die Netzannäherung in seinem Essay ‘Das Soziale wird das Räumliche’, wo er bemerkt:
"Orte und Regionen, wie arbiträr sie auch begrenzt sein mögen, sind die Essenz traditioneller menschlicher geographischer Untersuchungen... [D]argestellt als Elemente innerhalb räumlicher Aufteilung, als einmalige Zusammenstel lung physikalischer Tatsachen und menschlicher Artefakte, als miteinander interagierende Einheiten innerhalb eines Systems oder als räumlich verortete Form, wurden Orte und Regionen als wenig mehr denn als statische Schauplätze für menschliche Tätigkeiten porträtiert." (337)

In Mille Plateaux analysieren Deleuze und Guattari diese Art der Kodierung durch die Netzstruktur anhand einer Vielzahl menschlicher Ressourcen wie Staat, Sprache, Stadt, Krieg und so weiter. Sie beschreiben, wie die abstrakte Maschine des Netzes Räume reterritorialisert, die aus diskreten Plätzen der Intensität bestehen. So erscheint die Stadt zum Beispiel als eine Ebene, ein Tableau, auf dem es Intensitäten von Population, Straßenbereiche, Autos, Gefahrenbereiche und Schwerverbrechen gibt. In der Ordnung der materialen Welt sind diese unterschiedlichen Ebenen voneinander getrennt, im Netz jedoch sind sie durch die Verbindung der Gitternetzlinien, welche die Stadtstruktur ersetzen, reterritorialisiert. Stellen wir uns eine große Stadt (city) vor, angelegt als Serie einzelner kleiner Städte (towns), einzelner Intensitätsplätze, so können wir verstehen, was Deleuze und Guattari meinen, wenn sie sagen, daß "sie (die Stadt/town) ein Phänomen der Transkonsistenz ist, ein Netzwerk, weil sie auf fundamentale Weise mit anderen Städten in Kontakt steht. Sie stellt eine Schwelle der Deterritorialisierung dar, weil, was auch immer das Material enthält, deterritorialisiert genug sein muß, um ins Netzwerk einzutreten...um dem Kreislauf des urbanen (and road recoding?) zu folgen...Städte sind Schnittpunkte jedweder Art, die entlang horizontaler Linien kontrapunktisch interagieren; sie erzeugen eine vollständige, wenn auch lokale, Stadt-bei Stadt, Integration." (p.432)

Hier zeigen uns die Autoren, daß eine Netzstruktur das Räumliche durch das Paar De-Territorialisierung/Re- Territorialisierung diskret rekodiert, und damit die kleineren Städte (towns) in einem langen, dabei integrierten Ablauf miteinander verbindet. Das Ergebnis der Netzanalyse von Großstädten (cities) ist qua Analogie das gleiche. Die abstrakte Maschine des Netzes ist: "eine abstrakte Maschine der Überkodierung: sie definiert eine rigide Segmentierung, eine Makrosegmentierung, weil sie Segmente produziert oder besser reproduziert... und so einen teilbaren homogenen Raum eröffnet, der in alle Richtungen sich ausbreitet." (ibd. p.223)

Für unsere Zwecke ist es der entscheidende Effekt des Netzes, diskrete Bereiche der Intensität innerhalb des ganzen Raumes der Stadt ‘auf fundamentale Weise miteinander in Kontakt’ zu bringen. Es ist dieses ‘Zusammenspiel’, als welches uns die maschinelle Reterritorialisierung des Stadtraums erscheinen soll - das heißt als eine Metapher, die den Charakter von Gemeinschaft widerspiegelt.

Gemeinschaft, dieses so gegenwärtige und alte Wort, in dem Stabilität, Ordnung, Regelmäßigkeit, und, in heutigen Begriffen, Sicherheit, vielleicht sogar ontologische Sicherheit mitschwingt, bedeutet die Verminderung des Gefühls der Distanz zwischen Personen. Die Wärme, die der Terminus ‘Gemeinschaft’ suggeriert, bezeichnet ursprünglich auf nachdrückliche Weise den Wunsch, einen Sinn für den geteilten Raum zu haben, ordentlich abgetrennt und respektvoll dem per sönlichen Raum gegenüber. Dies ist kein Raum, in dem der Abstand zwischen uns und den anderen so groß ist, daß sich niemand mehr verantwortlich fühlte, sich um andere mehr zu kümmern, als man sollte, ohne sich dabei verpflichtet zu fühlen, zu helfen.

Gemeinschaften tendieren zur Selbstregulierung aufgrund der Gefühle von Scham und Schuld, die man empfinden wird, und häufig veranlaßt wird, zu empfinden, wenn man anderen Mitgliedern der Gemeinschaft gegenüber sich unverantwortlich verhält. Dies ist eine Funktion der Nähe zu anderen und der Tatsache, daß man nicht schnell genug fort kann, um der realen oder eingebildeten Mißachtung anderer zu entgehen. So wird der Umgang mit riskanten Handlungen ebenso wie Vertrauen in der Gemeinschaft vermittelt durch Reflexionsmechanismen, nicht unähnlich der ‘unsichtbaren-Hand-Erläuterung’, die sich in Adam Smiths ‘Theorie des moralischen Gefühls’ (1754) findet. Der Glaube an ihr Funktionieren unterstreicht die Hoffnung auf eine geregeltere, faßbare Welt.

Netzwerk-Analysen versinnbildlichen große Räume als benachbarte Zellen, in denen sich Personen und Ressourcen nah beieinander befinden. Solche Raster der Intelligibilität sind per Implikation Raster der Nähe zueinander. Robert Fishman hat dieses Bild kommentiert als das "einer Luftaufnahme eines Netzwerks von Superhighways, in alle Richtungen bevölkert, eine ganze Region zu einer wüsten Superstadt vereinigend." Es liegt entsprechend nahe, davon auszugehen, daß Städte im wesentlichen innerhalb der Grenzen des Netzes gebaut sind, so daß wir sie uns dann eher als intern wachsend denn als auswärts wuchernd vorstellen. Städte können als klar-bestimmte Räume dargestellt werden, gefüllt mit Menschen und Dingen, die derart nahe rücken, daß der Mechanismus der unsichtbaren Hand wirken, unser Verhalten disziplinieren und uns zu verantwortlichem Handeln gegenüber anderen verpflichten kann. Phänomenologisch betrachtet, lädt die Vernetzung oder Rasterung der Stadt uns keineswegs ein, das Raster nach außen zu vergrößern, sondern innerhalb der Grenzen der Netzstruktur zu arbeiten. Damit widersprechen wir Frank Lloyd Wright, der behauptete, ein solches Raster impliziere Grenzenlosigkeit, fähig, in alle Richtungen sich auszuweiten. Raster sind synchrone Modelle eines bestimmten Raums, und das Bild der Bewegung wird von den Geraden und Linien bestimmt, aus denen das Modell besteht. Unsere Idee der Stadt ist in die Struktur und die Grenzen des Modells eingeschrieben, nicht umgekehrt. Mehr noch: die Netzstruktur vereinfacht unseren Sinn für Entfernung und Komplexität des Raumes, die anders nur als Verfremdung verstanden werden könnten. Dies ist analog dem Gefühl, daß ein Ort weniger weit entfernt ist, wenn wir den Weg zu ihm als klare Serie von Verbindungsstraßen angeben können, gekennzeichnet durch identifizierbare Siedlungen, die uns bestätigen, daß wir dem richtigen Weg folgen. Es ist die Leichtigkeit, den Weg zu sehen und ihn durch die Angabe der Straßennummern in Kürze beschreiben zu können, die selbst eine lange Reise als einfach und unseren Bestimmungsort als nah er scheinen läßt. Kurz, es scheint, als wären wir nie zu weit fort.

Um Certeau (1984) zu paraphrasieren: Das Netzmodell der Stadt (die Konzept-Stadt) bietet, gleich dem Eigennamen, ein Modell der Überlegung, Vereinfachung, und der Konstruktion von Raum auf der Grundlage von stabilen, isolierbaren und verbundenen Eigenschaften.

Der Punkt dabei ist, daß die Rhetorik dieses formalen Modells zugleich erlaubt, Städte als mögliche Gemeinschaften zu sehen, indem sie die Stadt als geschlossene, als Matrix der Nähe statt der Distanz entwirft. Solche Analysen nähren die Hoffnung auf Einheit - auf Gemein-Schaft.

Die imaginäre und die kybernetische Gemeinschaft

Wir haben behauptet, daß eine Möglichkeit, die Stadt zu betrachten, darin besteht, sie als Gemeinschaft anzusehen, und daß dieses Bild durch formale Netzwerk-Gitter und -Raster nahegelegt wird. Soweit diese Weise, die Stadt-als- Gemeinschaft zu visualisieren, nun dazu benutzt wird, den eigentlichen (den begehrten) Weg, den Sinn der Stadt zu erläu tern, steht phänomenologisch das Modell als Wahrheit für die Realität (selbst ein Simulakrum) - und natürlich ist die Realität das Modell. Wir kennen diese Inversion aus den Schriften von Baudrillard, aber finden sie als Inversion von Realem und Imaginärem im Versuch, andere die Welt auf eine bestimmte Weise sehen zu lassen, auch im Zentrum von Althussers Theorie der Ideologie.

Im Kollaps der Unterscheidung Stadt/Gemeinschaft entsteht eine weitere merkwürdige Bewegung. Wir leben technologisch und ästhetisch. Mit Heidegger können wir im Bezug auf seinen berühmten Essay ‘Die Frage nach der Technik’ sagen, daß unsere Art zu sein durch das ‘Gestell’ bestimmt wird - durch eine übergeordnet-ordnende Struktur. Wir erhalten ein Bild der Welt, welches uns die Bewegung durch den Raum erlaubt. So planen wir unseren Weg, der allerdings bereits vorgezeichnet ist vom technischen Gestell der Kartographen. Im nicht reflektierten Verständnis glauben wir weiterhin, daß Rationalität und Freiheit einander nicht feind sind. Wir verteidigen, anders gesagt, die Freiheit des Willens und der Einbildungskraft. Unser Wunsch, die eigene Wahlfreiheit immer wieder neu zu bestätigen, ist ein Versuch, der Wahrheit des Selbst Ausdruck zu verleihen - das Selbst aus dem Wir zu lösen. Diese expressive ästhetische Wahrheit leben wir gleichsam durch die technologische Ordnung hindurch. Unser einziges Verbrechen besteht darin, die ordnenden Parameter unser eigener Bewegung zu verleugnen, um uns das Gefühl, uns selbst zu besitzen, zu bewahren.

Natürlich werden wir damit fertig, daß sich die Selbstbestimmung als ein ursprüngliches Ziel nach einer ursprünglich ordnenden Natur richtet - solange diese Natur dem Selbst gegenüber freundlich gesonnen oder bestätigend ist. Es ist der Widerstreit zwischen Natur und Selbst, der die technische Erfindung hervorbringt - was Marx nur zu gut wußte. Die Harmonie zwischen Natur und selbst ist die ursprüngliche Gemeinschaft. Die Dinge stehen gut, solange die Natur träge bleibt und wir nur produzieren, um uns zu reproduzieren d.h., solange es eine Logik des Selben gibt. Ein solches Arrangement zeigt die idyllische Vision einer fruchtbaren Erde, die ihre Reichtümer dank einer nicht-ausbeutenden Landwirtschaft preisgibt. Diese essentielle Gemeinschaft wird nicht schlimmer, wird sie so ausgeweitet, daß sie ähnliche Aktivitäten anderer mit einschließt. Heidegger mag das bezüglich der Struktur sozialer Beziehungen erkannt haben in seiner Bedingung der ‘Bereitschaft’. Darin steckt ein Sein lassen der Dinge, unkorrumpiert durch das Gestell der Technik. Die Technik wird gefährlich, wird sie vom Ehrgeiz des Menschen manipuliert. In unserer modernen Welt zeigt sich der Ehrgeiz als eine Form von Hyperaktivität, vorangetrieben durch Ansprüche des Kapitals. Heidegger schreibt über das technische Gestell als eine Art von Bestimmung - was nur dazu dient, den Menschen zu historisieren, und es ist das Schicksal der hyperaktiven Welt von Technik und Kapital, die Historizität zu verdunkeln, so daß es scheint, als lebe man nur in der Gegenwart. Mehr noch, diese Gegenwart besteht nur aus einzelnen Momenten von Jetzt-Zeit, ohne daß wir je wüßten, was der nächste Augenblick wohl bringen mag. Die Hyperaktivität treibt den Wettkampf radikaler Kontingenz und Unvorhersehbarkeit an. Paradoxerweise ruft diese aufregende Ängstlichkeit der Moderne oft im buchstäblichen Sinne Müdigkeit hervor. Die Stadt schließlich ist der Ort des Hyperaktiven, der Fokus der Technik und des vermöge der Profitmöglichkeiten frei zirkulierenden Kapitals, wie wir von Hayek und seinem Lehrer Mises gelernt haben. Mises übermittelt uns die Botschaft, daß wir immer schon in der Antizipation der Resultate leben, die sich aus den kontingenten Handlungen der Anderen ergeben. Die moderne Stadt ist der Raum endloser und unsicherer Aktivität. Sie ist keine Struktur der Bereitschaft. Konnten wir diese Unrast nur neutralisieren, wäre die Stadt schon ein verständlicherer, geregelterer Ort. Eben dies tun wir durch unsere vermittelte Vorstellung - wir sehen die Stadt unter dem Netz.

Die Netzanalyse läßt die Stadt erstarren, sie ist das Gestell, welches zugleich in Bereitschaft ist. Die rhizomatische Bewegung kommt im Fluß horizontaler und vertikaler Linien zum Stillstand. Eben dies strukturiert das heuristische Bild. Durch die Simplifizierung des Raums, more geometrico, können wir von uns wieder Besitz ergreifen. In einer klarer bestimmten Welt können wir die Dinge sein lassen, können vertrauen und uns sicher fühlen. Die Metapher des Netzes konnotiert eine integrierte Interdependenz aller Einzelteile, koordiniert durch eine unterschwellige und angenehm undynamische Struktur von Regeln und Leitlinien. Damit haben wir den Grund gefunden für die imaginäre Gemeinschaft, den Raum jenseits der Furcht vor Kontingenz und ohne den neurotischen Zusatz von Regelsystemen. Unser Traum von Gemeinschaft ist der eines geschlossenen und weichen Systems, in dem die Abwesenheit von Bedrohungen uns zur Offenheit ermutigt - dazu, unsere Gedanken, Gefühle und Anliegen auszudrücken. Hierbei haben wir es mit einem ästhetischen Ideal zu tun, welches auf der Grundlage des Ideals einer beherrschten Technologie gedeiht. Es setzt einen geregelten Kreislauf voraus, der kein totalitäres Produkt künstlicher Anstrengungen ist, sondern ein freiwilliger und selbstgenügsamer Austausch mit anderen. Auf diese Weise trifft sich das Bild der Entstehung von Gemeinschaft mit der Natur unserer ursprünglicher Natur autonomer Wesen mit freiem Willen.

Die selbe Beziehung des Ästhetischen zum Technischen erhält sich im Cyberspace. Wir lassen die Technik, als wäre sie uns wohlgesonnen, und träumen von virtuellen Gemeinschaften, in denen wir in einem geteilten Virtuellen leben. Diese gelebte Einbildung der virtuellen Gemeinschaft setzt das Vergessen der Technik in Gang, die fortan in Bereitschaft steht. Die Ideale der virtuellen Gemeinschaft sind im Grunde dieselben wie die der nicht-virtuellen Gemeinschaft - Ideale, übertragen auf ungleiche Räume und Lebensweisen. Auf der Ebene menschlicher Subjektivität läßt sich die Möglichkeit des Lebens im Cyberspace zumindest teilweise erläutern als motiviert durch einen Widerstand gegen die Ungleichartigkeit - und am Ende als Geburt einer Illusion des Selbstbesitzes. Wir werden darauf zurückkommen. Die Art, in der die Bedeutung des Cyberspace sich verstehen läßt, ist nun analog zu derjenigen, in der eine Methodologie der Netzwerk-Analysen uns dazu überredet, die Stadt zu denken, das heißt, als Gemeinschaft. Natürlich sehen nicht alle Cybersurfer den Cyberspace als Gemeinschaft, aber viele tun es. So wollen wir nun für einen Moment untersuchen, wie diejenigen, die dies tun, über das Netz oder Teile des Netzes als Gemeinschaft reden.

Der Initiator und Herausgeber der ersten Ausgabe von ‘OnLine World’, Clive Grace, kommentiert: "Das Netz ist nun seit einigen Monaten im Blickfeld der Öffentlichkeit... Im Laufe eines Jahres hat es sich in eine Gemeinschaft von Menschen entwickelt, die bereit sind zu teilen, zu genießen und zu kommunizieren." Noch widersinniger, wenn auch ernsthafter ist der Kommentar von Thomas Moore in ‘Net Guide’ (Februar 1995). Moore, ein Dozent für archetypische Psychologie aus...nein, nicht Kalifornien, sondern New York, sagt:
"Das Zeitalter der Therapie endet, das Zeitalter in dem Therapeut und Patient in einem Raum zusammensaßen. Ich glaube daran tatsächlich. Die neue Therapie, die dies ersetzen wird, wird außerhalb des Raumes stattfinden, in einer Art von pflegender Gemeinschaft, wie sie das Internet bereitstellen könnte. Dies wird eine Gemeinschaft der Unterstützung und des Verständnisses sein, in der Menschen mit ähnlich gearteten Problemen über die Seele und über das Herz reden." Sein Interviewer: "Gruppentherapie im Cyberspace?", Moore: "Warum nicht?" Laut Moore können wir selbst das Selbst im Netz interpretieren. Die Harvard Akademikerin Dorothy Zinberg notierte kurz darauf im ‘Times Higher’ in zynischem Ton: "Wohin ich auch blicke, ob in ein neues News Magazin wie ‘Wired’ oder ‘Internet’, oder zu den verzauberten Usern des Equipments im jüngsten Szene-Treff der Stadt, dem Cybersmith, wo man den Zugang in die fortgeschrittenste Cyberspace Technologie mieten kann, aber ebenso, während ich selbst die Infobahn entlang taumle, überall werde ich mit ‘Daten’ bombardiert, die die Ankunft einer neuen Gemeinschaft im Cyberspace bekanntgeben." (p.14, THES, 7.4.1995)

Im großen und ganzen sympathisieren wir mit Zinbergs Skeptizismus. Im besten Fall ist die virtuelle Gemeinschaft ein Entwurf von Gemeinschaft, eine imaginierte Gemeinschaft, der die Substanz ontologischer ebenso wie emotionaler Sicherheit fehlt.

Den meisten von uns ist der Titel von Benedict Andersons Buch recht geläufig: ‘Imaginierte Gemeinschaft’, und unabhängig von der Absicht des Buchs - nämlich: auszuprobieren, Nationen als Gemeinschaften vorzustellen haben sich viele Autoren seiner Formulierung angeschlossen als Ausdruck für das Phänomen, daß Menschen sich das Gewebe von Personen und Umgebungen, mit dem sie in regelmäßigem Kontakt stehen, als Gemeinschaft vorstellen, imaginieren wollen. Wenn dies jedoch alles ist, was viele sich unter Andersons Satz vorstellen, so ignorieren sie eine Dimension von Gemeinschaft, die wir als ihrem Begriff zentral ansehen, nämlich, ihren affektiven Aspekt, die Dimension des Zusammengehörigkeitsgefühls. Darin besteht die emotionale Seite der Solidarität. Gemeinschaft meint eben nicht nur jene Nähe zum Anderen, welche uns zur Verantwortlichkeit dem Anderen und der Gemeinschaft gegenüber verpflichtet. Darauf bezieht sich Raymond Williams in ‘Keywords’ (1976) als die überzeugende "Gemeinschaft... der Gefühle". Bruce Murrays Beitrag zum Aspen Workshop über ‘Gesellschaft, Cyberspace und die Zukunft’ geht weiter, indem er feststellt: "...um extern und intern harmonisch zu sein, müssen Gemeinschaften nicht nur ihren Mitgliedern den Sinn von Zugehörigkeit und Ganzheit vermitteln, sondern zugleich Vielheit verkörpern und tolerieren."

Es ist diese Betonung von Zugehörigkeit und Ganzheit, die unserer Meinung nach nicht nur eine Eigenschaft von Cyberspace Interaktionen ist, sondern deren Möglichkeit zugleich eine mythische Projektion des Wunsches nach Gemeinschaft angesichts eines fatalistischen Glaubens daran darstellt, niemals eine wahre Gemeinschaft oder ein befriedigendes Leben in unserer Alltagswelt zu entdecken. Virtuelle Gemeinschaften werden nicht imaginiert, weil sie virtuell sind, d.h., weil wir, um das Virtuelle zu fassen zu bekommen, uns der Imagination bedienen müssen - sondern weil Menschen sich dem Gefühl von Entfremdung widersetzen wollen, welches sie in Bezug auf die anscheinend instabile Welt um sie herum empfinden, und das sie wünschen läßt, sicher woanders zu sein. De-Entfremdungs Effekte können dadurch befördert werden, daß dem Cyberspace, oder doch dem Teil, den Cybernauten nutzen, die Eigenschaft, eine freundliche, objektive Welt zu sein, zugesprochen wird. Sie bilden, was Certeau eine ‘Konzept-Gemeinschaft’ genannt haben könnte, die ihr eigenes Gesetz ist, die ein In-Ihr Selbst ist, verständlich und vollständig für alle Eingeweihten. Die Grundlage der Gemeinschaft im Netz ist die Sicherheit der Illusion, in einer gänzlich anderen Welt jenseits der Umgebung zu sein, die einen so betrübt. Wir werden noch bemerken, daß diese Art der Entfremdung ebenso als Unbefriedigung, Enttäuschung und Frustration gilt wie als Gegensatz zu den großen Formen der Entfremdung im Sinne von, sagen wir, Marx. Wie Simmel feststellt: "Der Mangel an etwas Bestimmtem im Zentrum der Seele treibt uns zur Suche nach momentaner Befriedigung durch immer neue Stimulationen, Sensationen und äußere Aktivitäten." (Philosophie des Geldes) Der Cyberspace ist eine phantastische Welt, durch die wir in scheinbarer Nähe mit anderen leben können, reden, Meinungen austauschen und Gefühle ausdrücken. Howard Rheingold zitiert in seinem jüngst publizierten ‘Die virtuelle Gemeinschaft’ die Bemerkung des Soziologen Marc Smith: "Virtuelle Gemeinschaften verlangen danach, die Einbildungskraft zu gebrauchen, und was imaginiert werden muß, ist die Idee der Gemeinschaft selber." Worauf Smith nicht verweist, ist, daß wir, um das Netz erfolgreich als Gemeinschaft zu projizieren, zunächst im Sinne dessen, was Nietzsche ‘aktives Vergessen’ nannte, verdrängen müssen, daß wir das Netz als Gemeinschaft zunächst nur vorge stellt haben.

Die Struktur der Projektion der virtuellen Gemeinschaft ist die einer doppelten Bewegung der Entfremdung von der ‘realen’ Alltagswelt einer objektivierten Kultur in die atomisierte private Lebenswelt und dann in die ‘virtuelle’ Gemeinschaftswelt. Diese verkörpert die Illusion virtueller Gemeinschaft als menschlich so reich, wie es die Ideale der Gemeinschaft in der Alltagswelt vorgeben. Zeitgenössische Entfremdung ist nicht die materiell fundierte Funktion der Enteignung durch den Kapitalisten, der Entfernung des Mehrwerts, und der Verschwendung von Arbeitskraft, sondern der emotional lokalisierte Ausdruck der Distanzierung und des Mangels an bedeutsamem Leben selbst, nachdem man keine meta-erzählerischen Projekte mehr hat, den Abgrund zwischen dem, wie man fühlt, und dem, wie man fühlen sollte, zu überbrücken. Baudrillard greift in ‘Cool Memories’ (1990) hier einen Aspekt heraus, wenn er feststellt:
"Wenn es in früheren Tagen als angemessene Strategie galt, Effekte der Entfremdung zu akkumulieren, so ist es heute geschickter, Effekte der Indifferenz zu sammeln... Oder gar nichts zu werden als ein geisterhaftes Hologramm, ein Laser Umriss - so daß es dann einfach wird zu verschwinden, ohne bemerkt zu werden, und andere als Beute der Realität zu rückzulassen."

Baudrillard hat recht, sofern Marx und andere, welche die Bedingung der Entfremdung mit utopischen Projekten verbunden haben, Entfremdung als kumulative Kraft zur Motivation revolutionären Aktionen brauchten. Die ästhetisierte, zeitgenössische Version der Entfremdung allerdings ist mehr eine des Gefühls der Abneigung und der Schwächung. In diesen letzteren Begriffen ist Entfremdung nicht länger verbunden mit Utopia, stellt sie keine Form der Motivation mehr dar. In positiven Begriffen meint Entfremdung Dahintreiben und Indifferenz; meint sie keine andere Motivation für Entscheidungen zu haben, als von den Momenten der Erscheinung des Spektakels ‘gepackt’ zu werden. Für einige ist das Spektakel interessant, weil es ihnen die Möglichkeit bietet, einen eigenen Output zu generieren, ein Ziel zu erreichen. Geschieht dies, öffnet sich ein schmaler Spalt in der scheinbaren Totalität der Indifferenz - und mit ihm die Möglichkeit einer lokalen Emergenz des teleologischen Selbst der Modernität. Eines Selbst, welches - vielleicht auf einer subliminalen Ebene - Horizonte des ‘Ich könnte da mitmachen’ besetzt. Immer noch allerdings erlaubt der Rahmen der Indifferenz Menschen, gedankenverloren von einer Aktivität oder Person zur nächsten zu treiben. Wechsel aus Interesse sind häufig bloß graduell und zusammenhangslos. Für viele ist der Hintergrund dafür, überhaupt etwas zu tun, ein allgemeines Gefühl von ‘Ich sollte etwas tun, um meine Zeit auszufüllen’; vage nach etwas Interessantem zu schauen - im Sinne von: ‘Ich nehme an, ich hätte nichts dagegen, das zu tun.’ Vielleicht können wir diese Momente beschreiben als charakterisiert durch die Attitüde einer ‘indifferenten Absicht’. John Slotter (1980) kommentiert solche Prozesse sozialer Handlung als Entfalten in der Zeit. So schreibt er über Menschen als ‘Form Schöpfer’ und als Regel-Macher, die sich aktiv eine persönliche Lebensform erschaffen:
"Solch einen kreativen Blick auf die menschliche Handlung zu werfen, heißt, sie als formativen Prozeß mit eigenem Recht zu behandeln, als Sequenz der Transformation eher denn lediglich als Sequenz diskreter Ereignisse, als sich entwic kelnden Prozeß eher denn lediglich als ein (wechselndes) Medium, durch welches andere (konstantere) Faktoren ihren bestimmenden Einfluß ausüben... Menschliche Tätigkeiten nicht als Abfolge wohl definierter Ereignisse, sondern als etwas zu betrachten, das sich in der Zeit entwickelt, das einen Übergang von etwas weniger zu etwas mehr Bestimmtem involviert, betont die Tatsache, daß wir, während wir bei Gelegenheit frei handeln können, in Übereinstimmung mit Regel, Plan, oder Skript dies nicht notwendigerweise auch tun. Oft handeln wir einfach auf der Basis unserer ‘Gedanken und Gefühle’, in Begriffen der Situation ‘wie wir sie sahen’".

Ein weiterer Faktor, den wir zu berücksichtigen haben, ist die Erwartung, wenn nicht die Forderung Anderer, die funktionaler eingestellt sind, daß man weitermachen und etwas tun sollte, viz. Shotters andere bestimmende Faktoren. Das ist etwa der Aufruf von Eltern an ihre Kindern, oder der Ruf der ‘respektablen Gesellschaft’, der einen entsprechenden Druck ausübt, den seine Opfer wiederum zu vermindern suchen. Die Bewegung des Reisens im Cyberspace ist akzidentell insofern, als man auch anders hätte handeln können, sie ist kein Produkt einer Logik der Notwendigkeit, sondern ein Sturz durch eine Zugangspforte, allerdings angestoßen durch die relativ freundlichen Kräfte von Neugier, Langeweile, Gelegenheit und sozialem Druck. Jede Erklärung dafür, warum wir genau diese statt einer anderer Tätigkeit herausgreifen, ginge zu weit, so wie es eine Erklärung der Entstehung von Interesse täte. Wir müssen uns mit der nackten sozialen Tatsache zufriedengeben, daß wir an Dingen Interesse finden, und daß dies, laut Shotter, oft ein langsamer Wachstumsprozeß ist. Die Grundlage des persönlichen Motivs, etwas anderes zu tun, allerdings mag sein, was Kracauer vermutet:
"Reisen ist eine der besten Möglichkeiten für Gesellschaften (Selbst), sich von einer Konfrontation mit sich selbst abzuhalten...es führt zum Herrlichen der Welt, auf daß ihre Häßlichkeit unbeachtet bleibe."

Einige mögen diesen Prozeß als ‘Flucht ergreifen’ ansehen, aber unserer Meinung nach würde dieses ein falsches Bild sein. Oft wenden sich Menschen von Unannehmlichkeiten ab, um sich in Aktivitäten zu stürzen, welche sie unter Druck setzen. Das ist eher eine Antwort des ‘OK, ich werde es damit versuchen’. Am Computer zu sitzen, ist eine Art, seine Zeit zu verbringen, und befriedigt darüber hinaus die Forderung nach absichtsvollem Handeln. Computer sind geradezu geschaffen dafür, weil sie eine gebündelte und zielgerichtete Handlungsweise begünstigen, ähnlich wie Wissenschaft, Wissen und Produktion. Der unausweichliche Schluß lautet, daß man ‘am Computer sitzend’ etwas sinnvolles tut. Es ist kein Zufall, daß in letzter Zeit TV-Werbungen für Computer ihren vielfachen Nutzen und ihren pädagogischen Wert betonen. Natürlich können wir mit den Maschinen lediglich für einige Stunden spielen, um jene zufriedenzustellen, welche uns beweisen wollen, daß wir in der Lage sind, ein absichtsvolles Leben zu leben; einige jedoch werden weiter gehen, sich ein Textverarbeitungsprogramm zulegen, eine Graphikkarte, CD-Rom, ein Modem, Zugang zum Internet und wer weiß, vielleicht sogar völlig in virtuellen Welten aufgehen.

Das Medium des Computers und zuletzt die virtuellen Welten bieten uns die transformative Kraft an, mittels derer wir die als negativ erfahrene Entfremdung - die Unzufriedenheit in und Indifferenz zur Welt - in eine positiv besetzte Entfremdung verwandeln können. Nämlich eine Welt, entfernt von den Irritationen und der Langeweile des Alltags. Wiederum ist es Kracauer, der bereits 1930 auf diesen Punkt verwiesen hat, indem er über Berlin schrieb, daß die Lichter angestrahlter Denkmäler, die Neonschilder und die Werbung ‘zusammen einen Angriff auf diejenige Müdigkeit darstellen, welche überhand zu nehmen droht. (zit. nach Frisby, 1985, 141) Was hier in Betracht gezogen werden sollte, ist, daß dem Cybernauten Ent fremdung ex ante nur das Einbekenntnis von Müdigkeit zu sein scheint, ex post jedoch ein Hinweis darauf, mit seinem ganzen Leben unzufrieden gewesen zu sein. Und trifft dieses zu - das ‘Ich wünschte, ich wäre früher darauf gekommen’ - wird die betreffende Person wohlmöglich zum Cyber-Enthusiasten, und dann zum Cyber-Evangelisten.

Wir kommen nun zum letzten Abschnitt dieses Artikels, in dem wir eine phänomenologische Lektüre der Poetik des Selbstbesitzes im Reich des Virtuellen vorstellen. Um sie durchzuführen, beziehen wir uns auf die außergewöhnlichen Schriften von Bachelard, dessen ‘Poetik des Raums’ zeigt, wie das poetische Bild den Geist ins Bild hineinnimmt. Wir beschäftigen uns hier mit der Absorption des Selbst in die spektakuläre Oberfläche des Cyberspace, und werden zu zeigen versuchen, daß die Beziehung des Selbst zum Cyberspace eine Illusion der radikalen Andersartigkeit ebenso darstellt wie die Illusion eines Entwurfs einer objektiven und zugleich von der nicht-virtuellen Welt, in der wir unzufrieden leben, gänzlich unterschiedenen Welt. Wir werden mit einigen Bemerkungen über den aktuellen Stand der Beziehung zwischen Selbst und Cyberspace schließen, und vorschlagen, ihn eher als Stadt zu verstehen - hyperaktiv, ohne grundlegende Strukturen von Sicherheit und Vertrauen, und schließlich - ohne Heideggers Worten blind zu folgen - uneigentlich.

Eine Phänomenologie des Cyberspace?

Wie wir oben notiert haben, schreibt Baudrillard darüber, wie es geschehen kann, ‘andere als Beute der Realität zurückzulassen’. Natürlich kann man nicht buchstäblich verschwinden, man kann jedoch eintauchen, absorbiert werden durch die technischen Operationen des Mediums und der virtuellen Welt, die man betritt, und in der man dann zum Subjekt wird. Dieser Begriff der Absorption bezeichnet den Zusammenbruch der Indifferenz und die folgende Emergenz einer teilweise verlorenen Differenz.

Absorbiert zu werden heißt, sein eigenes Selbst zu finden in einem Rahmen, in dem Grenzen keine Rolle spielen. Je weiter man nach innen vordringt, desto weniger bemerkt man noch, daß es eine Außenseite gibt. Wir sehen die Absorption als das Einwandern in den virtuellen Raum. Es ist eine Faszination vom Spektakel bzw. vom Spielen des Spiels, die uns vergessen läßt, daß wir fasziniert sind. Mit Merleau-Ponty gesprochen, verkörpern wir ein Selbst innerhalb eines Rahmens, dessen Grenzen wir nicht länger in Betracht ziehen.

Solch ein Ort ist ein Raum, der nicht mehr diakritisch in Relation zu seiner Außenseite - dem Ort, der sich unterscheidet von dem, den wir wahrnehmen - verstanden werden kann. Somit hat dieser Raum keine Bedeutung außer dem Raum, hat seine Bedeutung für den Cybernauten von innen, jenem Innen, dessen Teil der Cybernaut ist. Bachelard dazu:
"Das Bild, welches man uns anbietet, wird nun tatsächlich unser eigenes. Es schlägt in uns Wurzeln. Es wurde uns von einem anderen gegeben, aber wir beginnen, das Gefühl zu haben, als hätten wir es erschaffen können, und hätten es erschaffen sollen. Es entsteht ein neues Sein in unserer Sprache, das uns ausdrückt, indem es uns zu dem werden läßt, was es ausdrückt; es ist zugleich ein Ausdruck-Werden und ein Sein-Werden."

Die Arboreszenz des Bilderflusses, den man uns anbietet, zieht uns immer weiter in die Tiefen einer hierarchischen Virtualität, ohne daß wir der Hierarchie gewahr würden. Denken wir an die Art, in der wir das World Wide Web benutzen, so wird klar, daß wir keine Hierarchie wahrnehmen. Phänomenologisch liegt jede Seite auf der gleichen Ebene wie eine beliebige andere Seite. Was wir sehen, ist ein fluoreszierender Text, den wir nach Schlagwörtern scannen, um auf sie zu klicken. Die scheinbare Endlosigkeit verfügbarer Information sieht nach Grenzenlosigkeit aus und ruft geradezu nach ihrer Erforschung. Sicherlich können wir das Web auch nach utilitaristischem Modell benutzen, aber nur einige von uns werden dies tatsächlich tun. Es gibt immer noch etwas zu sehen, es geht uns wie dem Spieler, der immer noch ein Spiel machen wird. Sind wir einmal absorbiert, leben wir im Reich des Cyberspaces. Bachelard bemerkt: "Doch die Dichtung ist da mit ihren endlos wogenden Bildern, Bildern, durch die Einbildungskraft in ihrem eigenen Reich zu leben beginnt." Wie wir bereits früher anmerkten, ist es das konstitutive Merkmal, vom virtuellen Bereich verführt zu werden, daß wir vergessen, verführt zu sein, daß wir vergessen, ein imaginäres Leben im inneren des Virtuellen führen. Baudelaire formuliert dies in seinem ‘Intimen Tagebuch’ richtig: "In einigen geradezu übernatürlichen Stadien wird die Tiefe des Lebens aufgehoben in einem gleichwohl gewöhnlichen Spektakel, daß wir vor unseren Augen haben, und das uns zum Symbol wird." Selbstverständlich liegt die Tiefe des Lebens immer auf der Oberfläche, auf dem Bildschirm. Die Absorption in die virtuelle Welt führt in den Raum unseres eigenen Glaubens einen glücklichen Raum, von dem Bachelard sagt:
"Mit seinen beschützenden Werten...hängen weitere vorgestellte Werte zusammen, welche bald schon dominant werden. Ein von der Einbildungskraft vermessener Raum kann kein indifferenter Raum bleiben, Gegenstand der Maße und Schätzungen seines Betrachters. Es wurde darin gewohnt, nicht in seiner Positivität, sondern mit all den Teilen der Einbildungskraft. Denn er konzentriert darauf, in schützenden Grenzen zu sein."

Aus ihrer Perspektive befindet sich die Userin in der elektronischen, gemeinschaftlichen Gebärmutter, in welcher die nahe Immensität des Cyberspace ihr einen Ort der Unterstützung und des Wachstums bietet. Doch lebt sie, reflexiv betrachtet, kein solipsistischen Leben in einem anomischen Universum? In diesem Raum denken wir nicht an die Maschinenkodes und Regelwerke, die das Geschehen auf dem Bildschirm kontrollieren, statt dessen wählen wir unsere Art des Zusammentreffens mit anderen mit dem horizontalen Wissen darum, virtuell auch anderswohin gehen zu können. Wir können jederzeit rein und raus, Dinge per Zufall entdecken und anklicken. Der Cyberspace ist eine gesetzlose Welt, die ihr Gegenüber in der gefährlichen Stadt hat. Wir wissen nie, wer in Diskussionsgruppen auftauchen mag, oder ob wir uns mit einem Virus infizieren. Natürlich gibt es AIDS nur in der teuflischen Stadt. Wir können im Cyberspace leben als Teilnehmer einer gemeinschaftlichen Ordnung, und doch wäre das nur eine imaginäre Transmutation von Handlungsweisen, die wir tatsächlich ausüben. Die Idee der Immensität, des Eintauchens, hervorgerufen durch die Möglichkeit, ‘immer irgendwo anders hin zu gehen’, die anomische Qualität des Cyberspaces und die Abwesenheit der Wahrnehmung von Hierarchie (Hierarchie besitzt immer einen Ursprung und Ziele), erzeugt Verwunderung. Und wie Bachelard bemerkt: "Das sicherste Zeichen der Verwunderung ist Aufregung". Nur durch eine phänomenologische Reflexion begreifen wir diese Bewegung. Für Bachelard steckt in jeder Verwunderung auch Verwandtschaft, in diesem Fall zwischen der Bildschirmoberfläche und dem User. Wie wir gezeigt haben, wird die Differenz ausradiert vom Prozeß der Faszination und der Absorption.

Wenn wir in einer Gruppenkonversation im Cyberspace involviert sind, befinden wir uns nicht in intimer Beziehung mit anderen Personen, sondern nur in einer zu uns selbst, mit der Aufregung der Antizipation dessen, was als nächstes auf dem Schirm geschehen wird, oder was wer als Antwort sagen wird, aber letztlich immer mit dem Zauber der unmittelbaren Gegenwart des Bildes, in daß wir inkorporiert sind. Noch einmal Bachelard: "Betrachtet aus der Perspektive der Übermittlung von einer Seele zur nächsten, ist es evident, daß ein poetisches Bild die Regeln der Kausalität umgeht". Bildschirmoberflächen erscheinen magisch, wir nehmen den Grund ihrer Ankunft nicht war. Sie geschehen einfach.

Es gibt keine verborgenen Tiefen im Cyberspace, alles ist auf dem Schirm, und so stellen wir uns vor, daß wir auch alles mit einem Klicken der Maus enthüllen können. Darin steckt die Illusion vollständiger Öffentlichkeit, einer Demokratie des unreduzierten Zugangs, während wir tatsächlich immer versteckt sind. Außer Sicht. Wir können unsre Identitäten verstecken, sie ändern, anonym bleiben. Wir können unsere Persona wechseln, zur Frau, zum Mann oder zum Transsexuellen werden. Wir können betrügen oder die Wahrheit sagen, und niemand kann unseren Behauptungen vertrauen. Alle Gültigkeitsnormen der kommunikativen Struktur unserer Lebenswelt, der öffentlichen Welt, sind verschwunden. Die Lehren von Grice und Habermas sind umgedreht, so daß wir in einem Reich der Ungültigkeitsansprüche leben. Die Zeugnisse des Selbst und die Herstellung von Vertrauen und Verpflichtung der Gemeinschaften werden instabil, und wir finden uns zurückgeworfen in die imaginäre Welt der unbestimmten Stadt, einer Stadt, welche den Fluß, das Spektakel, die Angstsymptome enthält.

Wenn wir schließlich von der absorbierten Zeit zurücktreten, werden wir vielleicht entdecken, daß unsere Beziehung zum Cyberspace mit Hoffnung überkodiert ist. Es ist die Hoffnung, daß sich gegen unseren dunklen Verdacht der technologische Dschungel in ein Land des Überflusses und der Sicherheit wandelt. Daß der deterritorialisierte, fremde Raum von Stadt/Cyberspace die Reterritorialisierung durch Figuren der Gemeinschaft erlaubt, von denen wir zu zeigen versuchen, daß es sich bei ihnen nicht nur um Projektionen der Einbildungskraft handelt. Traurigerweise handelt es sich dabei wohl nur um Tagträume der Nähe des Immensen. Oder wie Bachelard sagt: "Der Geist sieht Gegenstände in einem fort, während die Seele in einem Gegenstand das Nest der Immensität findet." So sind wir gefangen zwischen der reflexiven Vernunft und der Poetik der Hoffnung, einer Differenz, welche ihre Repräsentation im Gegensatz von Stadt/Gemeinschaft und Exteriorität und Interiorität findet.

Sagen Sie Ihren Lesern, daß das Internet ein gefährlicher Ort ist.
Dr. F. Cohen, Personal Computer World, Mai 1995 (p.545)

Graham McBeath und Stephen Webb, April 1995
Aus dem Englischen von Stefan Münker


Bibliographie

  • Bachelard, G. (1969) The Poetics of Space, Beacon Press, Boston.
  • Baudrillard, J. (1990) Cool Memories, Verso Press, London.
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