Architektur im TelekommunikationszeitalterHerkömmlicherweise halten sich die Architekten für Schöpfer von Plätzen und Gestalter von Gemeinschaften. Aber können sie diese Rolle in einer Zeit aufrechterhalten, in der sich die Schauplätze für eine immer grösser werdende Zahl von Aktivitäten vom natürlichen Raum in den Cyberspace verlagern und elektronisch vermittelte Gemeinschaften entstehen, die mit den natürlichen konkurrieren? Wenn das digitale elektronische Zeitalter greift, wird es noch irgend etwas von Bedeutung für die Architekten zu tun geben?Der Begriff der Gemeinschaft muss überdacht werdenDie Antwort auf diese Fragen hängt von der Bereitschaft ab, mit der Designer und Erzieher einige grundlegende Voraussetzungen neu überdenken, was eigentlich Plätze und Gemeinschaften sind und wie sie erschaffen und unterhalten werden können. Historisch gesehen dienten architektonische und städtebauliche Räume dazu, die Teilnehmer an irgendwelchen Aktivitäten zusammenzubringen. Die Gemeinschaften waren davon abhängig, dass ihre Mitglieder zusammenwohnten. Wollte man Mitglied einer Gemeinschaft werden, musste man sich innerhalb ihrer räumlichen Grenzen ansiedeln: man zog in eine Stadt, wohnte in einem College oder einer Universität oder trat in ein Kloster ein. Innerhalb einer traditionellen kleinen Gemeinschaft war dann alles in nächster Nähe. Alle Aktivitäten fanden durch Mitteilungen von Angesicht zu Angesicht und Handlungen von Hand zu Hand statt.Mit der industriellen Revolution entwickelte sich eine mächtige Alternative. Nun wurde es möglich, an einem Ort zu leben und an einem anderen zu arbeiten und seine Freizeit zu verbringen. Man konnte sich schnell und billig zu Plätzen bewegen, die vom Wohnort weit entfernt waren. Man konnte täglich zur Arbeit pendeln, ins Kino fahren oder zu einem Geschäftstreffen fliegen. Neue räumliche und zeitliche Muster entstanden - das der Pendlerstadt beispielsweise mit dem zentralen Geschäftsviertel, den Schlafvororten und der Rushhour zweimal am Tag. Jetzt, da die digitale Telekommunikationsinfrastruktur installiert ist und Computer billig und allgemein verbreitet sind, treten virtuelle Treffpunkte mit den natürlichen Räumen als Schauplatz menschlicher Interaktion in Konkurrenz und die Telekommunikation wird ein immer anziehenderer Ersatz für die Transportmittel. Man kann elektronisch mit weit entfernten virtuellen Gemeinschaften Verbindung aufnehmen, ohne seinen Wohnort verlagern und ohne reisen zu müssen. Als Ergebnis verlagern sich soziale und geschäftliche Aktivitäten in zunehmendem Masse in den Cyberspace. Neue DesignaufgabenAuf den ersten Blick erscheint diese Hinwendung zur Telekommunikation als schlechte Nachricht für den Architekten. Wenn die Angestellten miteinander telekommunizieren, dann nimmt der Bedarf an Büroraum in den Innenstädten ab. Wenn die Büchereien digitalisiert werden, dann investieren sie in Scanner und Discs anstelle von neuen Stapelräumen und Lesesälen. Wenn der Einzelhandel on-line geht, dann entwerfen sie World Wide Web Home Pages, anstatt Geschäfte und Einkaufszentren zu bauen. Die Design- und Konstruktionsaufträge, die wir erwartet haben, scheinen zu verschwinden. Eine eingehendere Betrachtung zeigt jedoch, daß neue und aufregende Aufgaben entstehen, die die verlorenen ersetzen. Da unsere Körper nicht verschwinden werden und es unwahrscheinlich ist, daß wir unserer unmittelbaren Umgebung gegenüber gleichgültig werden, wird als erstes der Bedarf an vernünftig geplanten und gebauten Räumen neu definiert und an neue Zusammenhänge angepaßt werden müssen. Er wird also keineswegs sich auflösen. Zweitens werden die Möglichkeiten der Computer in zunehmendem Masse in physikalische Artefakte jeden Typs und Ausmaßes eingebettet werden, gleichgültig, ob es sich um Möbel und Einrichtungen, Räume, Gebäude oder großräumige Infrastrukturen wie Autobahnsysteme handelt. Produktdesigner und Architekten werden mit Computerleistung, logischer Integrität und Benutzerfreundlichkeit ebenso beschäftigt sein, wie sie dies zur Zeit mit den traditionelleren Dimensionen der Bequemlichkeit, Festigkeit und Freude sind. Und drittens wird in einer Welt von intelligenten, miteinander verbundenen Artefakten jemand die Computer- und die Telekommunikationssysteme und die künstlichen Räume einbeziehen müssen, die die Elemente der geographisch verteilten Einrichtungen zu einem funktionierenden Ganzen zusammenfassen, genauso wie die Architekten bisher die Verkehrssystem benutzt haben, um die eng bebauten Räume zu verbinden.In anderen Worten, die Funktionen, die traditionsgemäß dadurch erfüllt wurden, daß für die Gebäude der passende Bauplatz gefunden wurde, die Gebäude konstruiert und entsprechend eingerichtet wurden, werden nun in zunehmendem Masse durch Kombinationen von bebautem Raum, Transportsystemen und Computer- und Telekommunikationsmöglichkeiten bereitgestellt werden. Da die Kosten für die Computerisierung weiter fallen und die Bits mit wachsender Freiheit durch Superhighway- Informationssysteme bewegt werden können, werden die digitalen Anteile an den Baulichkeiten an Bedeutung zunehmen und einen immer größer werdenden Teil an den Konstruktions- und Betriebskosten ausmachen. Die Geschichte des BankautomatenUm diesen Trend zu veranschaulichen, wollen wir die Vergangenheit und die Zukunft eines vertrauten Gebäudetyps betrachten - die Bank in der Hauptstraße. Vor einigen Jahrzehnten waren die Bankgebäude ein wichtiger Teil jeder Hauptstraße und jeder Innenstadt. Man ging zur Bank, um seine Geschäfte zu tätigen, nahezu alle Aktivitäten der Bank waren innerhalb ihrer Mauern untergebracht, die Macht und das Ansehen der Bank wurden repräsentiert durch die gute, solide, symbolisch passende (vielleicht neoklassizistische) Architektur und die gute Lage. Dann kam der Bankautomat. Zu Beginn hielt man den Bankautomaten für einen elektronischen Roboterersatz des Kassenangestellten, und sie befanden sich innerhalb des Gebäudes - wie die Menschen. Man ging in das Gebäude und wartete, bis man an die Reihe kam - bei dem einen oder dem anderen. Die Architektur der Bankinnenräume änderte sich etwas, aber nicht sehr, um sich an diese neue Einrichtung anzupassen. Dann dämmerte die Erkenntnis, daß die Bankautomaten nicht innerhalb der Gebäude sein müssen. Sie konnten auch an der Vorderseite der Bank angebracht werden, um die Vorteile des 24-Stunden-Service an sieben Tagen zu bieten. So wurden sie zu Elementen der Strassenlandschaft. Die Kunden lernten, auf dem Gehsteig oder im Vorraum Schlange zu stehen und ein Auge nach lauernden Gangstern offenzuhalten. Etwas später wurde klar, daß die Bankautomaten überhaupt nicht am Gebäude angebracht sein müssen. Es machte mehr Sinn, sie dort aufzustellen, wo die Leute Geld brauchen: im Supermarkt, in den Einkaufszentren, in den Studentenheimen, auf Flughäfen, in den Vorräumen der Polizeiwachen (in den gefährlichen Vierteln einiger Städte) usw. - und die physische Verbindung mit der Bank durch rein elektronische Verbindungen zu ersetzen. Neue Gebrauchsmuster entstanden: Man stieg aus dem Flugzeug aus, ging kurz zum Bankautomaten am Flugplatz, um Geld für das Taxi zu holen. Schnell war die Einrichtung, die die Aktivitäten der Bank unterstützte, nicht mehr das Gebäude in der Hauptstraße. Es zerfiel in ein Netz von Bankautomaten, elektronischen Geldtransfersystemen, einigen weitgehend symbolischen Front Offices der traditionellen Orte und Back Offices an Orten, wo die Mieten niedrig und der Arbeitsmarkt günstig ist - alles elektronisch verbunden. Die frei beweglichen Bankautomaten werden mit anderen Gebäudearten und Stadträumen kombiniert, um eine neue architektonische Konfiguration zu schaffen. Die graphische Schnittstelle des Bankautomatensystems ersetzte die alte neoklassizistische Fassade als Zugang zu den Einrichtungen und als sichtbare Darstellung der Präsenz des Bankinstituts. Nun nähern wir uns der Tatsache, daß Banknoten und Münzen durch elektronische Bitbündel, die das Bargeld verschlüsseln und sich wie Dollarnoten verhalten, ersetzt werden. Da jetzt elektronisches Bargeld die Führung übernimmt, wird der Bedarf an Automaten zurückgehen, die die materielle Form von Bargeld liefern (und Ihnen ermöglichen, es abzugeben). Wir werden elektronische Brieftaschen (Plastikgeld) mit uns herumtragen. Heimcomputer, Organizer und POS-Kassen (Point-of-sale-Kassen) - als Schnittstellen für das Plastikgeld - werden dann die Stellen für Einzahlungen, Auszahlungen und andere Bankaktivitäten sein. Sogar die Back Offices scheinen zum Verschwinden verurteilt zu sein, da telekommunizierende Angestellte ihre Arbeiten von verschiedenen Orten ausführen können. Das alte, architektonisch einheitliche Bankgebäude an zentraler Stelle wird sich wie ein Würfelzucker in einer Tasse Tee auflösen. Institution für Institution, Gebäudetyp für Gebäudetyp ist die Geschichte ähnlich. Bürotürme in den zentralen Geschäftsvierteln schauen langsam wie Dinosaurier aus, wenn die neuen, vernetzten Organisationen ihre verteilten und manchmal mobilen Angestellten elektronisch verbinden. (Die Software, die entsteht, um diese Art von Organisationen zu unterstützen, wie z.B. Lotus Notes, wird möglicherweise einen ähnlich großen Einfluß auf die räumliche Organisation der Arbeitsplätze haben, wie dies seinerzeit für Aufzug und Stahlträger der Fall war.) Die bekannten Formen des Einzelhandels werden durch die Verbindung der Online- Einkaufszentren mit direkter Lieferung von Warenhäusern und Fabriken infragegestellt. Die Technik der Telemedizin wird den Zugang zu den medizinischen Diensten für eine weitverstreute Bevölkerung möglicherweise erleichtern. Große, zentrale und umfassende Krankenhäuser werden eine verschwindende Rolle gegenüber kleinen örtlichen Einrichtungen einnehmen, und sogar unsere Häuser werden an das Netzwerk der medizinischen Dienste angeschlossen werden. Da Bücher und Zeitungen in zunehmendem Masse online gehen, wird man Büchereien und Buchhandlungen nicht mehr aufsuchen müssen. Und der wachsende Gebrauch der Techniken zum Tele-Learning läßt uns fragen, ob die Universitäten tatsächlich noch Gelände brauchen. Vielleicht können sich die Universitäten die so dringend benötigten Mittel beschaffen und die jährlichen Unterhaltskosten drastisch senken, indem sie die wertvollen Immobilien und den Grund und Boden verkaufen?Rekombinierte FormenAber während sich die vertrauten Formen und Muster auflösen, entstehen auch neue, an die diese übergehen. Wenn die Wohnhäuser beispielsweise zunehmend mit den Funktionen Arbeit, Erziehung und Unterhaltung belastet werden, werden sie sich ändern müssen. Die elektronisch vermittelten Aktivitäten, die auf sie zukommen, werden zusätzlichen Raum benötigen. Die Plätze für diese unterschiedlichen Tätigkeiten werden Trennung und architektonische Differenzierung fordern. Die Unterteilung in öffentlichen und privaten Raum wird nicht nur durch visuelle und akustische Darstellung und Abschirmung erreicht werden, sondern auch durch die Verbindung der Input- und Outputeinrichtungen. Eine an das Netzwerk angeschlossene Videokamera kann Ihren Privatraum so öffentlich wie Ihre Veranda machen. Neue Quellen und Formen der Finanzierung können entstehen, wenn beispielsweise die Belastung, Arbeitsplätze zu bauen und zu unterhalten, vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer übergeht.Es wird die Möglichkeit entstehen, die Idee der Nachbarschaften neu zu überdenken. Wenn wir von der plausiblen Annahme ausgehen, daß elektronisch geregelte Heimarbeit in großem Maßstab das Pendeln in die Innenstädte ersetzt, dann heißt das, daß es in den früheren Schlafstädten eine zunehmende Tagesbevölkerung geben wird. Dadurch wird eine Nachfrage nach örtlichen Dienstleistungen entstehen, wie Restaurants, Fitnessclubs und Schwimmbäder, Kindergärten, Spielplätze, Geschäfte für Bürobedarf, Paketabhol- und Paketablieferungsstellen. Möglicherweise können kleine Gemeinschaften wiederbelebt werden, die sich um diese Dienstleistungsorte ansiedeln. Die Bewohner könnten dann gleichzeitig am örtlichen Leben - ein wertvoller, lebendiger Kontakt mit den Nachbarn - und an der weltweiten künstlichen Gemeinschaft teilnehmen, die Zugang zu Hilfsmitteln, Gelegenheiten und Dienstleistungen bietet, die örtlich nicht angeboten werden. Die Logik des Ortes wird sich auch ändern. Die leichte Erreichbarkeit der Arbeitsplätze und der Dienstleistungen wird nicht mehr von so großer Bedeutung sein, während die Anziehungskraft, die einem Ort innewohnt, neue Bedeutung gewinnt. Warum in einer grauen Vorstadt leben, wenn man genau so gut von einer schönen (und vielleicht sogar billigeren) ländlichen Umgebung aus arbeiten kann? ( Erwerben Sie ein schnelles Modem und eine ISDN-Leitung.) Wenn Sie keinen Arbeitsplatz an einem bestimmten Ort suchen müssen, warum wohnen Sie dann nicht in einer kulturell interessanten Stadt? (Leben Sie in Florenz, arbeiten Sie im Cyberspace.) Warum eine Besprechung in einem sterilen Konferenzraum abhalten, wenn man in ein Café auf einer charmanten Piazza gehen kann, während man elektronischen Zugang zu allen benötigten Hilfsmitteln hat? (Nehmen Sie Ihr Mobiltelefon, Ihren Laptop und Ihren Organizer mit.) Moderne OrteMan bemerkt, daß all diese Szenarien voraussetzen, daß der Ort seine Macht behält. Sicher werden wir die fortgeschrittene Telekommunikation anwenden, um dort zu sein, wo wir wirklich sein wollen, um die Zeit zu verringern, die wir an Orten verbringen müssen, die wir nicht mögen, und um die Nachteile der Orte zu mindern, an denen wir sein müssen, ob es uns gefällt oder nicht. So sehen sich die Architekten der Herausforderung gegenüber, moderne Orte zu schaffen, die sowohl von der Lage her schön wie auch umfassend vernetzt sind.Darüber hinaus werden wir weiter feststellen, daß eine Unterredung von Angesicht zu Angesicht weit besser ist als jede andere Art der Kommunikation. Aber es ist einfach nicht möglich, das für jeden Zweck zu nutzen. Die dafür notwendige körperliche Nähe ist eine rares und wertvolles Mittel. So werden die Städteplaner verstärkt nach Raummustern suchen, die es den Menschen ermöglichen, den bestmöglichen Gebrauch von ihren begrenzten Möglichkeiten für direkten Kontakt zu machen, während die Elektronik den Rest besorgt. Es gibt viel zu tun, packen wir's an. Aber die Architekten und Städteplaner müssen ein neues Spiel lernen - ein Spiel mit ungewohnten Teilen und anderen Regeln. "City of Bits: Space, Place, and the Infobahn" ist on-line erhältlich! Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Waldmüller |