Martin Pawley

Der Prozeß der Enturbanisierung der neuen Medien



Heute befinden sich Architektur und Stadtplanung nicht nur hinsichtlich ihrer Methoden und Leistungen, sondern auch hinsichtlich ihrer professionellen Struktur in einem Prozeß der Veränderung. Wie bei anderen Berufen und Beschäftigungen schrumpfen und verschwinden Antizipationen und Gewißheiten, während eine Menge an provisorischen Zielen an deren Stelle rückt. Dieser Zustand ist nicht einzigartig. Wir leben in einem neuen Zeitalter, in einer Zeit, in der Landwirtschaft, Industrie und sogar das Dienstleistungsgewerbe nicht mehr notwendig Arbeitsplätze anbieten, und Arbeitsplätze keine Sicherheit mehr gewähren. Es ist eine Zeit, in der Gewerbe nach Gewerbe und Beruf nach Beruf, in der all die alten beruflichen Laufbahnen von digitalen Systemen ausgemerzt werden, die auf sie lauern wie Schlangen. Nach 15 Jahren der "Verschlankung" in der Industrie haben Wirtschaft und Berufe der Arbeitskraft enorme Opfer abverlangt. Eine Sicherheit nach der anderen ist aus dem Tritt geraten, erlitt einen stechenden Schmerz und hat sich der immer länger werdenden Schlange angeschlossen, die auf Kompensation wartet.

Auf diese Weise sind wir oder werden wir alle Opfer eines Krieges, der zwischen der Zukunft und der Vergangenheit geführt wird. Der Kampf ist so wild, daß wir nicht wie die Pioniere der Futuristen am Beginn des 20. Jahrhunderts uns beeilen, um in das neue Jahrtausend zu stürmen, sondern daß wir uns als ihre Nachkommen im vollen Rückzug befinden. Wir fliehen vom Schlachtfeld, rennen vor der Zukunft davon und suchen verzweifelt nach einer Zuflucht in der Vergangenheit. Unter uns befinden sich Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler, die noch vor einem halben Jahrhundert von großen Siedlungen an Schnellstraßen und linearen Städten begeistert waren und sich nichts bei dem Vorschlag dachten, jedes noch existierende Zeugnis der Geschichte niederzureißen.

Heute hat sich unser Standpunkt verändert. Voller Schrecken leisten wir der einst herbeigewünschten Dezentralisierung Widerstand. Wir halten an allem Alten fest, das uns an ihr Gegenteil erinnert. Wir bauen in unserem Kopf Festungen aus Burgen, Schlössern, Kirchen und Kathedralen, die uns die Geschichte hinterlassen hat. Wir schwören, daß wir diese mit unserem Leben verteidigen werden. Unsere Familien mögen sich atomisiert haben, unsere soziale Struktur mag zerstört worden sein, aber an diesen alten Schätzen werden wir kleben, bis die Ankunft des neuen Jahrhunderts einen Finger nach dem anderen von deren alten Steinen abreißt und uns nackt in den Rachen des Morgen hineinwirft.

Kontinuität ist notwendig, um Gewißheit über die Zukunft zu erhalten. Es ist die Art von Kontinuität, die eine einzige Herrschaftsform im alten Ägypten über 3000 Jahre überleben ließ. Wir besitzen keine solche Kontinuität und auch keine, auf die wir hoffen dürfen. Wir sind keine Wanderer, sondern wir befinden uns in einem langen Stau auf einer Straße. Wir können weder erkennen, welches Hindernis die Straße vor uns blockiert, noch können wir voraussagen, wann wir aus dem Stau entkommen. Wir haben keine Vorstellung darüber, ob wir die Straße mit 130 Stundenkilometern 10 Minuten lang entlangrasen oder in einem Verkehrsstau steckenbleiben. Es fällt uns schwer, unsere Machtlosigkeit in einer Maschinenwelt anzuerkennen. Wir haben das Gefühl, als ob wir alles wüßten, und jetzt wissen wir nichts. Wir sind daran gewöhnt, ernstgenommen zu werden, und jetzt fehlt uns die Selbstachtung. Als Europäer sind wir daran gewöhnt, reich zu sein, und jetzt sind wir relativ arm. Wir haben uns daran gewöhnt, unseren Erdteil als das Zentrum der Zivilisation zu betrachten, aber jetzt hat sich die Welt von uns entfernt und wir sind zu einer kleinen polynesischen Insel geworden.

Noch tragischer kann unser Zustand mit dem der nordamerikanischen Indianer der Steppe verglichen werden. Ihre eingeborene Zivilisation wurde von der großen Flut der europäischen Einwanderung hinweggespült, ihre Gesellschaft wurde durch den Ausschluß von der industriellen Revolution atomisiert, die sie nicht verstanden haben. So lange sie lebten, wurden die neuen Technologien der mechanisierten Landwirtschaft, der Repetiergewehre, des Eisenbahnnetzes und der maschinellen Produktion gegen sie eingesetzt. Sie hatten keine Mittel, diese Innovationen aufzugreifen, und sie konnten sie nicht besiegen. Die industrielle Revolution des weißen Mannes erzeugte in ihren Herzen Ungewißheit und Schrecken. Sie waren zu ununterbrochener Aufmerksamkeit verurteilt, da sie ihrer Zukunft niemals gewiß sein konnten. In den letzten Etappen ihres Zerfalls begannen sie, gerade wie wir es tun, zu tanzen. Sie webten Hemden, die kugelsicher sein sollten, genauso wie wir Umweltgedanken hegen.

Wie uns die Geschichtsbücher erzählen, funktionierten die magischen Hemden der Indianer nicht, und ihre Tänze endeten im Rausch und im Tod. Genauso wird unsere Kultur der Schatzhausstädte uns nicht vor dem Ansturm der Informationsrevolution schützen. Wie diese Indianer werden wir keinen Frieden finden, bevor wir uns nicht dieser überlegenen Macht unterwerfen.

Man nehme den "Geistertanz" der Stadtplanung und das "magische Hemd" der Architektur am Ende des 20. Jahrhunderts. Ihre letzte große Hoffnung ist die Stadt, die Wiedergeburt der großen Stadt des 19. Jahrhunderts, deren Königsschlösser, Hauptstraßen, Kaufhäuser, Hauptbahnhöfe, Opernhäuser, Theater, Parks, Exerzierplätze und Kasernen zu Hotels, Museen, Kunstgalerien, teuren Wohnungen, klimatisierten Einkaufszentren, Restaurants, Bars, Clubs, Kinos, Büros von Fluglinien, Banken für das Bargeld, Verbindungsstationen für den Untergrundverkehr und Parkplätzen wurden.

Diese "Ersatzstadt", die die Leichen der aus der Vergangenheit überkommenen Großstädte wieder besetzen und neu beleben kann, hypnotisiert die zur Schlacht formierten Verteidiger der Architekturkultur in Europa ebenso, wie die Vorstellung einer neuen Erdoberfläche die "Geistertänzer" der Wovoka im Ödland von Dakota vor hundert Jahren hypnotisiert hat. Für uns verspricht die "Ersatzstadt" eine neue Lebensfrist, eine Wiederkehr derÖkonomie jener europäischen Städte der alten Welt, deren Herzen durch den Sturz der Imperien, durch das Wüten der Kriege, durch die Entstellungen der Wiederaufbaus und der Verlagerung der Investitionen in andere Erdteile fast zum Schlagen aufgehört haben.

Hätte es den "Geistertanz" der Urbanisten nicht gegeben, dann hätte man schon erkannt, daß diese Städte sich im gleichen hoffnungslosen Zustand wie Indianerdörfer auf der Trasse einer Eisenbahn befinden. Ein Jahrhundert, nachdem ihre Entwicklung aufgehört hat, atmen all diese Städte mühsam und nur mit der Hilfe von Touristen. Diese sind der ätzende Sauerstoff, der die urbanen Lungen verbrennt, selbst wenn er einen schwachen ökonomische Puls verlängert. Zum Beispiel Florenz. Die große italienische Stadt der Kunst und Kultur, die sich seit über hundert Jahren dem Tourismus verschrieben hat, bemühte sich darum, ihr historisches Zentrum um jeden Preis zu schützen.

In diesem Prozeß entstand ein großer Ring von Vorstädten ohne Infrastruktur, der sie allmählich zu Tode würgt. Die Antwort des "Geistertanzes" auf die Krise von Florenz ist der Masterplan von Vittorini aus dem Jahre 1993, der verspricht, einen neuen polyzentrischen "urbanen Bereich von Florenz" zu schaffen. Das ist ein Projekt, das zum Scheitern verurteilt ist, weil seine Bescheidenheit seine Disproportionalität angesichts der Größe der Stadtkrise offenbart.

London ist zehnmal größer als Florenz und auch die Probleme sind entprechend größer. Daher versucht man sie auf andere Weise zu lösen. London heftet seine Hoffnungen noch immer an die Entwicklung, an eine in den 80er Jahren getroffene Vereinbarung zwischen den progressiven und konservativen Kräften, als man sich entschlossen hatte, daß ersteren die Einfügung von riesigen, neuen, klimatisierten, hermetisch abgeschlossenen Gebäuden mit elektronischen Satellitensystemen in alte Viertel der Innenstadt gestattet wird - aber nur hinter den erhaltenen Fassaden von bereits existierenden Gebäuden und nur innerhalb der Rahmenbedingungen des mittelalterlichen Straßennetzes und der unökonomischen, von der Vergangenheit überkommenen Grundstückgrößen.

Anders als der Plan von Florenz war das Ergebnis dieses Londoner Kompromisses der Beginn einer neuen Architektur, die viele Merkmale des Esperanto besitzt, jener künstlichen Sprache, deren Sinn jeder versteht, aber die niemand authentisch sprechen kann. Gemäß der Richtlinie dieses neuen Stils wurde sowohl die moderne Architektur des 20. Jahrhunderts (die forderte, ein Gebäude als vollständigen Organismus, von "innen nach außen", wie dies das Bauhaus lehrte, zu gestalten ) als auch die historische Bewahrung von alten Gebäuden neu bewertet.

Beide wurden ersetzt durch die "Stealth-Architektur". Das ist eine nach allen Richtungen mit Serviceeinrichtungen versehene Bodenfläche, überzogen mit dünnen Steinkacheln, die wie die Kulisse für ein Theaterstück auf grelle Weise "historisch" aussehen sollen, oder es wird etwas anderes hinter die erhaltenen Fassaden von abgerissenen historischen Gebäuden eingefügt.

Zur selben Zeit wurde eine seltsame und vorausschauende neue Rolle für die großen kirchlichen Überreste der Vergangenheit geschaffen. Westminster Abbey, eine der großen Kathedralen Englands, stammt aus dem 13. Jahrhundert. Zuerst wurde sie 1601 restauriert. Seitdem wurden an diesem Bau siebzehn aufeinander folgende Restaurationen durchgeführt. All diese Programme schlossen wesentliche Veränderungen und Hilfsmaßnahmen ein, um die Struktur dieses Gebäudes zu erhalten. Beim letzten Restaurierungsprogramm wurden nicht originale Arbeiten, sondern solche der vorhergehenden Restaurierer ersetzt. Auch das beinhaltete substantielle Veränderungen. Für alle dreißig Kathedralen Englands aus dem Mittelalter werden durchschnittlich jedes Jahr vier Millionen Pfund für solche Restaurierungsarbeiten ausgegeben. Insgesamt ergibt dies ein endloses Bauprojekt, das in Wirklichkeit eine stillschweigende Revision des Gebrauchs darstellt. Der "Gebrauch" dieser Kathedralen ist heute zur Aufgabe der Selbstrestaurierung wie bei japanischen Shinto- Altären geworden.

Solche stillschweigenden Veränderungen des Gebrauchs betreffen aber nicht nur die Kathedralen selbst. Saint Pauls Cathedral in London versucht jetzt, die Entwicklung der ganzen Stadt zu überwachen, weil sie in ihrer Strategie der Stadtplanung eine größere Rolle spielt. Seit der Aufhebung des Greater London Council im Jahre 1986 gab es für das zentrale London keine Höhenbeschränkung mehr für Gebäude. Stattdessen wurde ein kompliziertes System von Sichtlinien, das auf den Dom von Saint Paul zentriert ist, für die Höhen- und Größenbegrenzungen aller neuen Gebäude entwickelt. So wurde der "Gebrauch" einer aus dem frühen 18. Jahrhundert stammenden Kathedrale zum Steuerungsinstrument für das Wachstum im 21. Jahrhundert.

Derartiges scheint in Indien noch weiter zu gehen. Hier wird der Taj Mahal, 1650 als Gedenkstätte erbaut, jetzt jedes Jahr von 11 Millionen Touristen besucht. Alter und Säure zersetzen den Marmor. Man hat einen Fonds bereitgestellt, um ihn zu reparieren. Zur selben Zeit wurde eine politische Kampagne begonnen, um ein Sperrgebiet von zwei Meilen für Kraftfahrzeuge einzurichten und jede Industrie mit Schornsteinen aus der Stadt Agra bis zum Jahr 2000 zu entfernen. Dieses politische Programm ist nicht nur zur Hauptaufgabe - zum wirklichen "Gebrauch" - des Taj Mahal geworden, sondern auch zum Bestandteil der Politik von Indien. In Berlin ist der Sachverhalt komplexer. Seit 50 Jahren eingesperrt von der Macht der Geschichte, tauchte die Stadt 1990 wie aus einem Traum in die posturbane Welt der Wiedervereinigung auf. Die Versuche einer umfassenden Stadtplanung stammen aus der nationalsozialistischen Zeit, als eine riesige Nord-Süd-Achse angelegt und dann wieder aufgegeben wurde. Während der Zeit der Teilung war die Planung in West-Berlin auf den Abriß und auf die Schaffung von freien Räumen, auf die Konstruktion moderner Wohnsiedlungen und auf das Kulturforum beschränkt, wobei die Philharmonie und die Nationalgalerie in einem Gebiet errichtet wurden, das ursprünglich für die große Achse leergeräumt worden waren. Weil im westlichen Teil der Stadt keine größeren Eingriffe ausgeführt wurden, war West-Berlin 1989, als die Mauer fiel, eine virtuelle Zeitkapsel infrastruktureller Inaktivität. Seitdem hat die Erwerbung des Status einer Hauptstadt mit der Ausweisung von einem halben Dutzend großen Erschliessungsbereichen nicht dazu geführt, die Stadt aus ihrer Paralyse herauszuführen. Die Streitigkeiten um den Wettbewerb für den Reichstag, der Bau des neuen Bundeskanzleramtes, die Börse, der Potsdamer Platz und sogar die Sanierung von Kreuzberg zeigen, daß selbst der Ausgleich für einen riesigen Mangel an Investitionen eine Stadt nicht vor einer Bedeutungskrise retten kann. Heute wird die Bedeutung von Städten durch die Informationsrevolution bedroht. Heute reißt eine neue elektronische Informationsumwelt die Aufgabe an sich, die früher der öffentliche städtische Raum wahrgenommen hat. Der städtische Raum, den man einst für den Transport, für Klatsch, Revolten, Demonstrationen, Werbung, Vorführung und Spektakel gebraucht hatte, ist heute überflüßig geowrden. Heruntergekommen und mißachtet stellt er jetzt eher eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Seine Probleme bleiben Probleme, auch wenn man mit ihnen nach 50 Jahren erneut konfrontiert wird. Städtischer Raum und öffentliche Gebäude sind bedeutungslos geworden.

Zwei Beispiele aus Berlin sind der ehemalige ostdeutsche Palast der Republik und der Reichstag. Der erstere soll von seiner "sozialistischen" Glasverkleidung befreit und als Palast wiederhergestellt werden. Der letztere war trotz seiner Bekanntheit während seiner hundertundeinjährigen Geschichte lediglich 10 Jahre der Sitz der deutschen Regierung. Der erneute Umbau dieses Gebäudes steht unter dem Vorzeichen, diese trostlose Geschichte fortzusetzen. Bis 1999 wird es zum größten Projekt der Fassadenerhaltung geworden sein, das jemals in Europa ausgeführt worden ist. Man sagt, daß Sir Norman Foster und Partner die Architekten seien, aber in Wirklichkeit gibt es keinen lebenden Designer. Trotz seiner neuen lichtdurchlässigen Kuppel verspricht der Reichstag, der größte "Stealth Bomber" in Deutschland zu werden. Es wird ein Gebäude sein, dessen alte Aussenseite keine Spur von dem enthüllt, was in seinem Inneren vor sich geht.

Was bedeutet das? Lassen Sie mich ein Beispiel aus einem anderen Kontinent geben.. Im Juni 1995 fand im Variety Arts Center von Los Angeles ein Festival für interaktive Medien statt. Bestandteil des Programms war die Welturaufführung eines Schauspiels der Firesign Theatre Company mit dem Titel "Anything You Want To", das als "William Shakespeares verlorengegangene interaktive Komödie" beschrieben wurde. Die vorausgehende Ankündigung dieses Theaterstücks beschrieb es folgendermassen: "Die Shakespeareparodie von Firesign eröffnet dem Publikum die Möglichkeit, die Spielhandlung zu steuern und zu entscheiden, wer lebt und wer stirbt ... Wird die nächste Szene in einem venezianischen Boudoir oder in einem Sturm auf dem Meer stattfinden? Die Entscheidung liegt in den Händen des Publikums. Wenn Edmunds Schwert einen tödlichen Kampf mit dem bösen Bischof ausficht, dann werden Sie entscheiden, wer sich auf der falschen Seite des tödlichen Hiebs befindet ...

Seien Sie dabei, wenn Firesign das alte Globe Theatre in das Global Village verwandelt." Ich habe das Stück nicht gesehen, auch wenn es interessant klingt. Ich will darauf hinweisen, daß etwas, das man früher als wesentlich empfand, bei dieser Inszenierung fehlt. Das Opfer war die ursprüngliche Geschichte, das Schauspiel selbst. Dieser Verlust ist es, der in Analogie zum Verschwinden der Stadtplanung und der Architektur unter dem Einfluß von Information steht. Beim Reichtstag erscheint es so, als ob das genaue Arrangement aller Komponenten des Gebäudes - die kreative Komposition, die seine "Architektur" ausmachte - plötzlich aufgegeben wurde und die Welt nun entscheiden müßte, stattdessen den Begriff "Architektur" auf das Verzeichnis all der Materialien zu beziehen, aus denen ein Gebäude, das wie der Reichtstag aussieht, gemacht werden könnte. Hier ist der Einfluß auf die Architektur. Kein Schauspiel, nur Darsteller. Keine Architektur, nur Materialmengen, die auf verschiedene Weisen arrangiert werden müssen - so verschieden wie die Verhüllung Christos im Juni 1995 und der innere Umbau von Foster, der 1999 abgeschlosen sein wird.

Vor ein paar Monaten nahm ich an einer Diskussion teil, die zur Feier des hundertsten Jahrestags einer englischen Zeitschrift mit dem Namen "Architect's Journal" stattfand. Um die Diskussion in Gang zu bringen, die fast verwirrend das Thema "Britische Architektur kann nur besser werden" hatte, fand ich mich in der Situation, ein oder zwei aufrüttelnde Sätze zu finden, wie sie den Amerikanern viel selbstverständlicher einfallen. Also so etwas wie "Wir haben nichts außer der Furcht selbst zu fürchten", "Ich habe einen Traum" oder "Ich bin ein Berliner". Doch als ich mein Lexikon denkwürdiger amerikanischer Ausdrücke für etwas durchsuchte, das für die Aussichten der Stadtplanung und der Architektur unter dem Einfluß der Informationstechnologie geeignet wäre, war der passendste Satz, den ich finden konnte, ein deutlicher Gegensatz. Er lautete: "Honey, I shrunk the kids" ("Liebling, ich habe die Kinder einschrumpfen lassen").

Diejenigen, die mit dieser Disneygeschichte vertraut sind, wird es nicht stören, wenn ich die Handlung zusammenfasse. In dem Film mit diesem Titel, entwickelt der Sprecher - ein Mann, der körperlich ganz ähnlich wie der Microsoftchef William Gates III. aussieht - eine Maschine, um große Gegenstände sehr stark zu verkleinern.

Ironischerweise sind die ersten Opfer dieser Maschine seine eigenen Kinder, die sich plötzlich auf dem Gang eines Dachgeschosses wiederfinden, das so riesig ist, als wäre man unter freiem Himmel, und die dann, winzig wie Ameisen, hoffnungslos in ihrem eigenen Garten vor einem auf sie zufahrenden Rasenmäher fliehen. Durch ihr Schrumpfen wurde ihre ganze Raumwahrnehmung und ihre Stellung in der Ordnung der Dinge verdreht. Und genau das geschieht in unserer Zeit mit dem Architektenberuf.

Während die Verwüstungen dieser halb mythischen Ungeheuer, der Datenautobahn, der Virtuellen Realität und des Cyberspace, den Büros der großen Grundstücksmakler und der Entwickler in London berichtet werden, beginnen die "Könige des unbegrenzten Raumes" (wie Charles Jencks einmal die Stars der Architektenzunft taufte) auf ihren Thronen zu wackeln. Sie fürchten zunehmend mehr, nachdem sie schon lange einer öffentlich glaubwürdigen Ideologie beraubt sind, daß sie sogar von der "Kultur" hintergangen werden. Sie haben Angst, daß sie auf die Größe von Pygmäen schrumpfen werden, während ihre ehrgeizigsten Schöpfungen zu einer überdimensionierten Größe anwachsen und aus jedem profitablen Gebrauch herauswachsen. Es ist, als ob die gebaute Umwelt, mit der sie jahrelang gearbeitet haben, sich plötzlich millionenfach vergrößert hätte und sie, die früheren Meister, zu nicht mehr als Mikroorganismen wurden. Und heute ist es wirklich geschehen, daß es wirklich einen unbegrenzten Raum gibt. Doch seine Könige und Prinzen sind keine Architekten. Selbst das Wort "Architektur" gehörte heute zur Maschinenwelt der Konstrukteure von Siliziumchips ...

In letzter Zeit bin ich mehrmals nach Amerika gereist und habe mit den Hauptteilhabern von einigen der größten Büros gesprochen, die man jetzt interessanterweise "design firms" nennt, weil man dort den Begriff des "Architekturbüros" selten gebraucht. Eine dieser Unterhaltungen ist mir im Gedächtnis geblieben. Es ging um das Schicksal der Weltzentrale von Burger King in Key Biscayne, Florida. Nachdem es 1991 fertiggestellt wurde, hat es der Hurricane Andrew ein Jahr darauf zerstört. Der Architekt, mit dem ich sprach, erinnerte sich an die Szene: "Es herrschte eine Totenstille. Die ganzen Fenster waren verschwunden. Hunderte von Computern lagen überall auf der Wiese umher. Sie wurden einfach durch das Gebäude geblasen, von Sand bedeckt und von Meerwasser durchtränkt."

Die ursprünglichen Architekten stellten das Gebäude sofort wieder her, aber sie reduzierten, während sie dies taten, die Belegung dieses Gebäudes durch Burger King so, daß jetzt nur noch die Hälfte der Menschen dort arbeiten. "Amerikas Wirtschaft entfernt sich von der Architektur." So deutet es derselbe Architekt. "Amerikas Wirtschaft geht aus den Stadtzentren heraus. Es gibt kein privates Geld mehr für die Stadterneuerung. Niemand weiß wann ein neues Hochhaus im Geschäftsviertel gebaut werden wird." Ich sprach auch mit dem Seniorpartner von Hellmuth Obata und Kassabaum, dem größten Architekturbüro in Amerika. Er erzählte eine überraschend ähnliche Geschichte, die auf einer Untersuchung der Zeichen einer anderen Naturkatastrophe, dem Erdbeben von Los Angeles, beruht. "Was ich das Zeitalter der wirtschaftlichen Frivolität nennen würde, ist vorbei", sagt er. "Das Erdbeben von Los Angeles führte zu einer ganzen Menge von vorübergehenden Satellitenbüros am Stadtrand. Sie sind jetzt Dauerniederlassungen. Daher wissen wir jetzt, daß die Nachfrage nach großen Büros in der Innenstadt schnell aufhören kann. Doch wir werden die letzten sein, die dies erfahren."

Wir sind auch die letzten, die erfahren, daß die Kinder geschrumpft sind und daß sich ihr Zauberkasten, die prächtige Zurschaustellung von Formen im Licht, in ein Videospiel verwandelt hat. Mit derselben Geschwindigkeit, in der sich der Untergang der Baring Bank vollzogen hat, einer 200 Jahre alten Londoner Bank von tadellosem Ruf, der durch Transaktionen an der Börse von Singapur zerstört wurde, hat man die Erben einer viertausendjährigen Architekturgeschichte mit einer Handvoll wertloser Währung zurückgelassen. Heute starrt die Architektenzunft auf Millionen von Quadratmetern überflüssiger Büroflächen, ähnlich wie die Forscher des Nordpols einst auf endlose Flächen von Packeis gestarrt haben, auf dem menschliches Leben nicht gedeihen konnte. Die Informationstechnologie hat dies für die Architektur bewirkt. Hinter dem "Scheitern des Sozialplans" der Moderne, hinter den endlosen, unwiderlegten Angriffen von Prinzen, Politikern und der populären Presse auf Architekten, hinter der enormen Verbreiterung architektonischer Ausbildung, hinter der unkoordinierten Entwicklung der Bautechnik, hinter der Vermehrung von unnötigen regulierenden, beratenden und Auskunft gebenden Körperschaften, hinter dem Konkurrenzkampf und dem Staatsstreich der Kunstgeschichte, hinter dem Aspekt der "Sicherheit", dem Zunehmen der Risikoveranlagung, des Engineering von Werten, des Entwurfs-, Bau- und Projektmanagments, hinter der Homogenisierung der Gebäudetypen - hinter all dem steht eine Sache: die Gefahr und die Wirklichkeit überflüssigen Büroraums, die wachsende Überzeugung, daß Architektur und Stadtplanung in ihrer gegenwärtig Form zu nichts mehr nutze ist.

Wenn Sie denken, daß dies weit übertrieben sei, dann überlegen Sie einmal, was die elektronische Informationsrevolution bereits bewirkt hat. Das Entstehen der "Stealth Architektur" und das Verschwinden einer organischen Verbindung des Inneren und des Äußeren eines Gebäudes stellen die größte Veränderung in der architektonischen Gestaltung während der letzten 50 Jahre dar. Aber das ist kein isolierter Prozeß, sondern verläuft parallel zu dem, was in anderen Bereichen geschieht. In der Schönheitschirurgie und der geriatrischen Medizin führen die Versuche, durch Organverpflanzungen, Prothesen und Veränderungen der Körperform das Leben zu verlängern oder das Aussehen zu verbessern, zu ähnlichen Resultaten. Genauso wie wir die Existenz von "Ersatzteilmenschen" mit künstlichen Hüften, Herzen, Nieren, Brüsten, Nasen und Gehirnen akzeptiert haben, werden wir eine "Ersatzteilarchitektur" akzeptieren, die in einem Frankensteinstil aus verschiedenen Elementen von verschiedenen Zeitalter für verschiedene Zwecke zu einer homogenisierten, Historisches vortäuschenden Szene zusammengebaut wird. Als Folge dieses Prozeßes sind die geachtetsten Kategorien des Bauens verschwunden, und alle authentischen Unterschiede zwischen geschichtlichen Perioden sind verlorengegangen: ihre "Schichten" sind wie durch ein fürchterliches seismisches Ereignis zusammengepresst. In der Computerwelt gab es stets nur eine Verwendung für veraltete Geräte, nämlich Zugang zu alten Daten zu erhalten, die man durch andere Mittel nicht wiedererlangen kann. Abgesehen von einigen exotischen Museumsstücken werden diese weiterverwendeten Exemplare alter Computer nicht deswegen aufbewahrt, weil sie "unschätzbare Artifakte der Vergangenheit" sind, sondern weil die Daten in ihren Speichersystemen noch einen archivarischen Wert darstellen. Im Fall von alten Gebäuden gibt es keine derart praktische Rechtfertigung dafür, Exemplare funktionsfähig zu erhalten. Es gibt keinen Bedarf an alten Gebäuden als "Mittel, Zugriff auf alte Verhaltensweisen zu erhalten". Wir sprechen hier von einem Veraltetsein, von den Grenzen der "Ersatzteilchirurgie" und der traditionellen Ästhetik in der Architektur. Heute, wo das Geld um den Erdball in Bruchteilen einer Sekunde transferiert werden kann, sind sogar die neuesten Gebäude für finanzielle Dienstleistungen mit dem Veraltetsein konfrontiert: nicht so sehr durch Fortschritte in der Informationstechnologie oder durch neuen Bauweisen, sondern durch Veränderungen im finanziellen Klima - in der Luft gewissermaßen, die sie atmen müssen -, die sich in Stunden vollziehen können. In diesem Sinn sind sind heute viele der anspruchsvollsten Gebäude für finanzielle Dienstleistungen aus den 80er Jahren veraltet, und man kann sagen, daß sie schon veraltet waren, bevor sie fertiggestellt wurden.

In der Welt der Wirtschaftsökonomie gibt es keinen Markt für ein Telefonsystem, das drei Jahre zu spät geliefert wurde, oder für ein Flugzeug, das seinen Zielort nicht erreichen kann, oder für einen nicht industrialisierten Standard eines Aufzeichnungsgerätes. Doch wenn Gebäude für eine Geschäftsumwelt in Auftrag gegeben werden und diese ihre erwarteten Leistungen nicht erfüllen, weil die antizipierten Marktchancen sich während der Zeit ihrer Fertigstellung aufgelöst haben, sind sie funktional genauso veraltet. Wie Darwin uns bereits vor langer Zeit lehrte, ist es sinnlos, Mitleid mit schlecht angepassten Arten zu empfinden, weil ihre Umwelt feindlich ist. Die Art muß sich den Anforderungen ihrer Umwelt anpassen oder ihrem Untergang entgegensehen. In der Architektur geben wir heute endlose Entschuldigungen für die nicht angepassten Arten - es gibt 33000 aufgelistete Gebäude, die "gefährdet" sind, wie wir dies seltsamerweise sagen -, und wir haben niemals verstanden, daß "gefährdet" einfach "nutzlos" heißt.

Der Zukunftsschock, die Verbindung zwischen technischer Innovation und Veränderungen der menschlichen Wahrnehmung, wurde zuerst von Marshall McLuhan vor über 25 Jahren am anschaulichsten in seinen zwei Bilderbüchern "The Medium is the Message" und "War and Peace in the Global Village" skizziert. In diesen Büchern zeigte McLuhan, daß der Preis, den die Menschheit für die Herrschaft über die natürliche Welt durch die Technik gezahlt hat, der Schock oder die Betäubung gewesen ist, die von jeder Stufe der Innovation ausgeht. Dieser Schock hat einen Selbsterhaltungszweck - nicht für die Menschen, wohl aber für die Technik. Er wirkt sich wie eine allgemeine Anästhesie auf die Gesellschaft aus und paralysiert ihre Urteilskraft, während destabilisierende technische Fortschritte trotz starker und verbaler Einsprüche einer nicht endenden Opposition aus sorgfältig abgesicherten Positionen ununterbrochen stattfinden.

Genauso wie die Eisenbahn und das Kraftfahrzeug die vorindustrielle Stadt verändert und das Land kolonialisiert haben, haben die elektronische Informationstechnologie und die neuen Medien alle unsere Beziehungen mit der Umwelt und mit anderen verändert. Die Unsichtbarkeit der neuen Medien hat, zusammen mit der Gesamtheit all der globalen, durch sie ermöglichten Verbindungen, die alten architektonischen Werte - Dauer und Individualität von Ort und Form - genauso archaisch und irrelevant werden lassen wie die sozialen Werte der gegenseitigen Abhängigkeit und der Gemeinschaft. Heute bricht die Dualität von "Zuhause" und "Arbeit" immer mehr zusammen und überlebt nur als ein Atavismus in einem verwirrenden Mosaik neuer Arbeitsverhältnisse, die von Autotelefonen und Faxgeräten, von Telearbeit, Arbeitsplatzteilung, "hot desking", "Verschlankung" usw. abhängig sind.

Der innere Schock dieses kontinuierlichen Wandels läßt uns so fest an der Vergangenheit festhalten, daß die Gegenwart kaum erkannt werden kann. Auf dem halben Weg zum Leben in einer neuen und weitgehend unsichtbaren Umwelt festgefahren zu sein, aber noch in einer alten künstlichen Umwelt zu denken und zu handeln, verursacht einen geistigen Zustand höchster Angst, nicht eine vernünftige Antwort auf den Wandel. Als Ergebnis bricht der Wandel durch wie eine bewaffnete Armee. Für die Architekten und die Architektur hat die durch die Datenautobahn herbeigeführte Verflüchtigung der Dauer zwei unmittelbare Konsequenzen. Zuerst wird mit all den Faktoren der neuen Umwelt im Zustand einer aktiven Wechselwirkung, einem Flugzeug in einer Warteschleife über dem Flugplatz vergleichbar, die Gültigkeit einer dauerhaften Form in Frage gestellt. Wenn zweitens die Information, sobald sie erworben wurde, durch eine noch neuere Information ersetzt wird, und wenn jede Information frei verfügbar ist und sich der Zuordnung zu einem Bereich widersetzt, dann ist vielleicht sogar der Begriff eines eigenständigen Berufsfeldes wie das der Architektur mit einem eigenständigen, spezialisierten Wissenskorpus veraltet geworden. Gleichzeitig verspricht die Heraufkunst der Virtuellen Realität eine dreidimensionale Gestaltungsmöglichkeit im Cyberspace, die in ihrer Opulenz jede Architektur in ihrer ganzen Größe übertrifft. Im nächsten Jahrhundert werden solche Darstellungen der Virtuellen Realität zu den öffentlichen Zelebrationen ökonomischer und kultureller Macht geworden sein, die früher große architektonische Aufträge gewesen sind. Gegenwärtig halten wir inne und erwarten den endgültigen Niedergang des Marktes für reales Eigentum und den Aufstieg des Marktes für virtuelles Eigentum. Wir leben in einer Zeit der doppelten Existenz von "Architekturkörpern" und "Informationskörpern", von geschätzten, aber besiegten Städten und von unwillkommenen, aber triumphierenden Nicht- Städten. Es ist eine Zeit, die von dem japanischen Architekten Toyo Ito anschaulich beschrieben wurde. In Japan sieht er eine Gesellschaft, die "von Information durchtränkt und von Kommunikationssystemen durchdrungen ist. Eine Gesellschaft, in der jedes Individuum zwei Körper besitzt: einen "wirklichen" Körper, der in seiner materiellen Anwesenheit besteht, und einen "fiktiven" Körper, der durch die an ihn gerichtete oder von ihm empfangene Information gestaltet wird." Aus Itos Sicht wurden diese beiden Körper im Alltagsleben noch nicht deutlich voneinander getrennt, doch der "fiktionale" Körper wird immer fordernder. Bald, so glaubt er, werden die Anwesenheit und das Wachstum unserer "fiktionalen" Körper alle traditionellen kommunalen Verbindungen in unseren Städten auflösen. Gemeinschaften, Nachbarschaften und Familien sowie alle ihre zufälligen, auf körperlichen face-to-face Kontakt beruhenden Beziehungen werden durch Beziehungen zwischen "fiktiven Körpern" ersetzt werden, die keinen Raum benötigen. Eine Art Desozialisierung wird in den Städten stattfinden, die sich dann als eine "fiktive" Struktur verstehen läßt, deren Räume nicht mehr gebraucht werden, um den Bedürfnissen einer "wirklichen"Bevölkerung zu dienen. In diesem Urbanismus ohne urbane Gestaltung wird den Architekten nur eine Hilfsrolle bei der Herstellung von reinen fehlerlosen Behältnissen verbleiben, die nach der Gestaltungsmethode jener Paradigmen der Moderne wie dem Verkehrsflugzeug, der Rennjacht, den Stahlskelettsystemen und dem Grand-Prix- Rennwagen modelliert werden. Und was wird aus der alten Architektur? Seit den späten 70er Jahren begann sich das ganze ländliche Europa in einem großen Band von London im Norden bis zum südlichen Italien in eine neue ökonomische Landschaft zu verwandeln. Anstatt von städtischen und innerstädtischen Geschäften wurden Millionen Quadratmeter an Bodenfläche für Warenlager und Distributionszentren mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit überbaut. Ausserhalb der alten Städte und Großstädte schossen an Tausenden von Autobahnabfahrten und -kreuzungen, entlang einer Straßenstrecke von über 50000 Kilometern, eine Million neuer Geschäftskomplexe ohne jeden Bezug auf einen urbanen Kontext oder die Vorherrschaft der Kunstgeschichte hervor. Allein in England wurden zwischen 1985 und 1989 mehr als 100 außerhalb der Stadt gelegene Einkaufszentren geplant, von denen über die Hälfte mehr als 100000 Quadratmeter überbauter Fläche bedeckt und sich nicht weniger als neun am Londoner Autobahnring M 25 befinden. Jetzt werden hektische Anstrengungen unternommen, um diesen Trend umzukehren. Doch das führt zu nichts, denn das sind keine "intelligenten", sondern schnelle Bauwerke. Sie sind Bestandteil des unsentimentalen, computergenerierten Gesichts der elektronischen Entstädterung, eine Erscheinung der abstrakten digitalen Kommunikation, die die Staaten der EU und andere Staaten außerhalb ihrer in einem grenzenlosen Netz von Konsumfilialen verbindet, die durch Häfen und Flugplätze, automatisierte Gefrierlager, klimatisierte Warenhäuser, riesige Fuhrparks und vorübergehende Schlafplätze in beweglichen Heimen versorgt werden. Das ist die Architektur der neuen Medien: der Urbanismus des nicht-urbanen Netzwerks des Konsums, das die Welt einhüllt. Dieser neue "abstrakte Urbanismus" - interessanterweise werden dessen Orte digital, oft nur durch die durchgezählten Ausfahrten bezeichnet - wird von Architekten und Stadtplanern, von Historikern und Kritikern nicht beachtet, obgleich er in ökonomischer Hinsicht bereits wichtiger ist als all die kunstgeschichtliche Architektur, die jemals gebaut wurde. Er ist, in der Terminologie der Einwanderungsbehörde, eine "nicht dokumentierte" Konstruktion ", weil es niemanden gibt, der sie dokumentieren würde, weil es niemanden gibt, der sie versteht. Welche Kultur haben die Lastwagenfahrer, deren Position von Satelliten ermittelt und überprüft wird? Wer versteht das Leben von Autofahrern, die riesige Strecken fahren? Welcher Platz wird von jenen eingenommen, die jeden Tag vor Instrumenten und Bildschirmen sitzen? Lagerarbeiter, Betreuer von Maschinen, Personal zur Überwachung der Ausgänge, Fluglotsen, Verkehrspolizisten, Personal des Rettungsdienstes, Mechaniker, Streckenarbeiter, Troubleshooter für Computer, diejenigen, die Bankautomaten nachfüllen oder Fotokopierer reparieren, Wartungspersonal, Sicherheitskräfte ... Sind das die prototypischen, nicht-städtischen Menschen der Zukunft, die nur durch den weltweiten Herzschlag des Satellitenfernsehens, der FM-Musik und der Radionachrichten verbunden sind? Wenn sie es sind, dann wird in unserer Zukunft Zentralität ein unbekannter Begriff sein. Die Architektur und der Urbanismus von heute werden als Abkömmlinge der alten Städte der Vergangenheit vergessen sein. Das Vergessen hat bereits begonnen.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer
Text: Martin Pawley © 1995


Thema
Leserbrief an die Redaktion.