Saskia Sassen

Die neue Zentralität:
Die Folgen der Telematik und der Globalisierung



Telematik und Globalisierung haben sich als fundamentale Kräfte herausgestellt, die die Organisation des ökonomischen Raums gestalten. Diese Reorganisierung reicht von der räumlichen Virtualisierung einer wachsenden Zahl ökonomischer Aktivitäten bis hin zu einer Rekonfiguration der Geographie der gebauten Umwelt für ökonomisches Handeln. Diese Reorganisierung führt, gleich ob im elektronischen Raum oder in der Geographie der gebauten Umwelt, zu organisatorischen und strukturellen Veränderungen. Eine Folge dieser Transformationen wurde für eine wachsende Zahl ökonomischer Aktivitäten in Bildern der geographischen Zerstreuung im globalen Maßstab und der Neutralisierung von Raum und Entfernung durch die Telematik erfaßt. Das läßt wiederum die Frage entstehen, welche Bedeutung Städte und Architektur in Zukunft haben werden. Ist eine Raumökonomie ohne räumliche Konzentrationspunkte in einem ökonomischen System möglich, das durch eine signifikante Konzentration des Eigentums, der Macht und der Profitaneignung gekennzeichnet ist? Man kann diese Frage auch so formulieren, daß die Dimensionen des Raums, der Organisation und der Macht in der Begrifflichkeit der Zentralität erfaßt werden: Kann ein solches ökonomisches System ohne Zentren operieren? Wie weit können überdies Formen der Zentralität, die im elektronischen Raum eingerichtet wurden, einige der Funktionen ersetzen, die man gemeinhin mit geographischen/organisatorischen Zentralitätsformen verbindet? Die grundlegende Behauptung in diesem kurzen Essay geht dahin, daß Zentralität weiterhin eine Schlüsseleigenschaft des ökonomischen Systems bleibt, aber daß die räumlichen Korrelate der Zentralität durch die neuen Technologien und durch die Globalisierung tiefgreifend verändert wurden. Das läßt eine ganz neue Fragestellung hinsichtlich der Definitionen entstehen, was Zentralität in einem ökonomischen System heute konstituiert, in dem a) viele Transaktionen mittels Technologien geschehen, die Entfernung und Raum neutralisieren und so in einer globalen Größenordnung stattfinden, während b) Zentralität historisch in bestimmten Arten der gebauten Umwelt und der urbanen Struktur eingelagert war.

In diesem Aufsatz geht es mir vor allem darum, die Behauptung, daß Zentralität eine Schlüsseleigenschaft des ökonomischen Systems bleibt, analytisch und empirisch zu belegen. Das führt zu einer Wiederentdeckung des Ortes und der Infrastruktur in unserer Konzeptualisierung der globalen Informationsökonomie und zu einer Herausarbeitung des elektronischen Raums, also zur Tatsache, daß es in diesem Raum nicht nur um Übertragungskapazitäten geht, sondern daß es sich um einen Raum handelt, in dem neue Strukturen des ökonomischen Handelns und der ökonomischen Macht konstituiert werden. In diesem Bündel von Transformationen liegt möglicherweise eine neue Reihe von Fragestellungen für die Architektur. Als Wissenschaftlerin der politischen Ökonomie, die sich für die räumliche Organisation der Ökonomie und die räumlichen Korrelate der ökonomischen Macht interessiert, scheint mir, daß die Perspektive auf den Ort und die Infrastruktur in der neuen globalen Informationsökonomie eine begriffliche und praktische Öffnung für die Architektur schafft. Und während eine solche Öffnung weniger wahrscheinlich zu sein scheint, wenn der Schwerpunkt der Fragestellung auf der Neutralisierung des Raumes und der Immaterialität des Informationsprodukte liegt, kann der entstehende Bereich der Elektrotektur (electrotecture) als eine Form verstanden werden, die auf diese Bedingungen antwortet. Der Begriff der Elektrotektur könnte, wie ich denke, so weit ausgedehnt werden, daß er die Strukturen des ökonomischen Handelns und der Zentralisierung der Kontrolle einschließen würde, die in den elektronischen Raum "eingebaut" werden, wie dies beispielsweise beim Markt für ausländische Währungen oder beim Handel mit Programmen der Fall ist. Schließlich können uns, wie mir scheint, architektonische Praxis und Theorie bei der Herausarbeitung des Punktes helfen, an dem die Materialität des Ortes bzw. der Infrastruktur mit diesen Technologien und Organisationsformen zusammentrifft, die den Platz und die Materialität neutralisieren.

Eine neue Architektur der Zentralität?

Die Architektur hat eine zentrale Rolle bei der Begründung der Idee der Zentralität im materiellen Sinn gespielt: ein beachtlicher Teil der Architektur war, wie ich dies bezeichnen will, tatsächlich eine "Architektur der Zentralität" gewesen. Die von der Architektur der Zentralität angeeigneten historischen Formen haben mit Zeremonien, Politik und Religion zu tun. Während der letzten beiden Jahrzehnte konnten wir eine Verlagerung von einigen der zentralen Funktionen, die traditionell im Bereich der Religion und der Politik eingebettet waren, zur Ökonomie beobachten. Architektur wurde in den 80er Jahren instrumentalisiert, um visuell den Übergang vieler zentraler Funktionen von der politischen zur ökonomischen Arena darzustellen. Die 80er Jahre sind emblematisch für eine neue Architektur der Zentralität, die neue Formen der ökonomischen Macht repräsentiert und behaust: für den Cyberspace des internationalen Handels, der von den Hochhäusern und Hotels von Unternehmen bis hin zu Flughäfen der internationalen Klasse reicht - ein transterritorialer Raum der Zentralität, eine neue Geographie der gebauten Umwelt der Zentralität. Aber obgleich er transterritorial ist, bleibt er eine Form des Ortes. Der Ort ist für den Prozeß der Elitenbildung fundamental. Und ein Ort ist dort, wo wir die neuen Machtrepräsentationen erkennen, die bislang in politische Institutionen eingebettet waren und sich jetzt in den ökonomischen Bereich verlagert haben.

Aber die Hierarchie im ökonomischen System, das in der Vergangenheit sich oft transparente Korrelata in der Architektur und in der urbanen Form angeeignet hat, wurde teilweise durch die räumliche Virtualisierung der ökonomischen Schlüsselaktivitäten entmaterialisiert. Ökonomische Globalisierung und die neuen Informationstechnologien haben nicht nur Zentralität und deren räumliche Korrelata neu gestaltet, sie haben auch neue Räume für die Zentralität geschaffen. Es gibt neue Formen der ökonomischen Macht, die im elektronischen Raum gebildet werden. Einige dieser neuen Zentralitätsformen können nicht als anschauliche Zentralität wie das zentrale Geschäftsviertel einer City erfahren werden. Da überdies ein beträchtlicher Teil der ökonomischen Transaktionen in elektronische Räume verlagert wurde, wird es problematischer, die Dichte ökonomischer Aktivitäten zu erfahren, wie man dies beim traditionellen Handel auf der Straße kann. Welche Architektur haben diese entmaterialisierten Zentralitätsformen? Wie könnte eine neue Architektur der Zentralität aussehen?

Wenn man den Schwerpunkt auf die Zentralität im ökonomischen System und den gegenwärtig von der Zentralität angeeigneten Formen legt, dann kann dies zu einer Spezifizierung von einigen der neuen ökonomischen Kontexte für Architektur beitragen und, wie ich meine, eine bestimmte Anzahl von Zugängen zu diesen Fragen über Architektur eröffnen, die sich von jenen unterscheiden, die durch die Architektur selbst eingeräumt werden.

Neue Formen der Zentralität

Telematik und das Wachstum der globalen Ökonomie, die beide untrennbar miteinander verbunden sind, haben eine neue Geographie der Zentralität (und Marginalität) entstehen lassen. Indem ich eine anderswo durchgeführte Analyse (Saßen 1994) vereinfache, unterscheide ich vier Formen, in denen Zentralität heute erscheint. Obwohl es erstens keine einfache direkte Verbindung zwischen Zentralität und solchen geographischen Entitäten wie dem Stadtzentrum oder dem zentralen Geschäftsviertel mehr gibt, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, so bleibt letzteres dennoch eine Schlüsselform der Zentralität. Aber das zentrale Geschäftsviertel in größeren internationalen Handelszentren wird vom technologischen und ökonomischen Wandel in großem Ausmaß neu gestaltet.

Das Zentrum kann sich zweitens zu einer metropolitanen Zone in Form eines Netzes von Knoten intensiver Geschäftsaktivität erweitern. Man könnte fragen, ob eine räumliche Organisation, die durch dichte, über eine größere Region verstreute strategische Knoten charakterisiert wird, wirklich eine neue territoriale Organisationsform des "Zentrums" ist oder ob sie nur, wie in der konventionelleren Sichtweise, ein Moment der Suburbanisierung oder der geographischen Zersiedelung darstellt. In dem Maße, in dem diese verschiedenartigen Knoten durch Cyber-Wege oder digitale Highways verbunden sind, sind sie jedoch ein neues geographisches Korrelat des fortgeschrittensten Typus des "Zentrums". Die Orte aber, die aus diesem neuen Netz der digitalen Highways herausfallen, werden peripher. Dieses regionale Knotennetz stellt in meiner Analyse die Bedeutung des Begriffs der Region wieder her. Weit von der Neutralisierung der Geographie entfernt, ist das regionale Netz vermutlich in konventionelle Formen der Kommunikations-Infrastruktur eingebettet, besonders in schnelle Zug- und Autobahnverbindungen mit Flugplätzen. Man kann davon ausgehen, daß die konventionelle Infrastruktur vielleicht ironischerweise die aus der Telematik stammenden ökonomischen Vorteile maximiert. Das ist, wie ich glaube, eine wichtige Fragestellung, die in der Diskussion über die Neutralisierung der Geographie durch die Telematik ein wenig verschwunden ist.

Wir können drittens die Ausbildung eines transterritorialen "Zentrum" beobachten, das durch die Telematik und intensive ökonomische Transaktionen geschaffen wird (Saßen 1991). Die beherrschendste dieser neuen Geographien der Zentralität auf dem interurbanen Niveau verbindet die großen internationalen Finanz- und Handelszentren: unter anderen New York, London, Tokyo, Paris, Frankfurt, Zürich, Amsterdam, Los Angeles, Sydney, Hong Kong. Die Intensität der Transaktionen zwischen diesen Städten hat, besonders durch die Finanzmärkte, die Dienstleistungsangebote und das Investment, rapid zugenommen, und daher sind auch die entsprechenden Größenordnungen angestiegen. Zur selben Zeit entwickelte sich eine zunehmende Ungleichheit in der Konzentration strategischer Ressourcen und Aktivitäten zwischen diesen und anderen Städten im selben Land. Beispielsweise konzentriert sich in Paris ein größerer Anteil von führenden ökonomischen Sektoren und des Reichtums von Frankreich als vor 15 Jahren, während Marseille, einst ein großes ökonomisches Zentrum, an Bedeutung verloren hat und sich im Niedergang befindet.

Neue Zentralitätsformen werden viertens im elektronisch erzeugten Raum gebildet. Der elektronische Raum wird oft als rein technisches Ereignis und in diesem Sinn als ein Raum der Unschuld verstanden. Aber wenn wir beispielsweise in Betracht ziehen, daß strategische Komponenten der Finanzindustrie in einem solchen Raum operieren, dann können wir sehen, daß dies Räume sind, in denen Profite gemacht werden und dadurch Macht begründet wird. In dem Maße, in dem diese Technologien die Möglichkeiten der finanziellen Profiterzielung verstärken und die Hypermobilität des Finanzkapitals eröffnen, können sie auch einen Beitrag zu den oft verwüstenden Auswirkungen des finanziellen Niedergangs anderer Industrien, bestimmter Bevölkerungsschichten oder ganzer Ökonomien leisten. Der Cyberspace kann wie jeder andere Raum in einer Vielzahl von Weisen geprägt werden, die unterstützend oder aufklärend, aber auch das Gegenteil davon sein können (Saßen 1994). Meine Behauptung geht dahin, daß Strukturen der ökonomischen Macht im elektronischen Raum gebaut werden und daß ihre äußerst komplexen Ordnungen Stellen der Koordination und Zentralisierung enthalten.

In den folgenden Abschnitten werden ich verschiedene Aspekte dieser vier Zentralitätsformen diskutieren und dabei den Schwerpunkt besonders auf Städte legen, um so die Logik zu zeigen, die in einer globalen Informationsökonomie Zentralität herstellt.

Agglomeration und Konzentration in einer globalen Informationsökonomie

Eine der am besten definierten Formen der Zentralität ist die kontinuierliche und oft zunehmende Konzentration und Spezialisierung von finanz- und unternehmensorientierten Dienstleistungsfunktionen in größeren Städten innerhalb hoch entwickelter Länder. Das ist in vielerlei Weise in einer Zeit ein Paradox, in der die Entwicklung der Telematik zugleich die Möglichkeit der geographischen Streuung maximiert, und richtet sich auch gegen die Vorhersagen von Experten, die den Niedergang der Städte als ökonomische Einheiten behauptet haben. Genau die Kombination der räumlichen Streuung vieler vkonomischer Aktivitäten mit der globalen Integration durch die Telematik hat die strategische Rolle größerer Städte in der gegenwärtigen Phase der Weltökonomie unterstützt. Über ihre manchmal lange Geschichte als Zentren des Welthandels und des Kapitalmarktes hinaus fungieren diese Städte jetzt als Führungszentren in der Organisation der Weltökonomie, als Schlüsselorte und Marktplätze führender Industrien in unserer Zeit (Finanzierung und spezielle Dienstleistungen für Firmen) und als Orte für die Produktion von Innovationen in diesen Industrien. Diese Städte haben so riesige Ressourcen konzentriert, und die führenden Industrien haben einen solch massiven Einfluß auf die ökonomische und soziale Ordnung dieser Städte ausgeübt, daß die Möglichkeit eines neuen Stadttyps entsteht. Die Gestaltung und Kontinuität eines ökonomischen Zentrums in den Stadttypen, die ich global nenne, beruht auf der Überkreuzung zweier großer Prozesse: a) der wachsenden Dienstleistungsintensität in der Organisation aller Industrien, ein häufig vernachlässigter Aspekt, den ich für wesentlich erachte, und b) die Globalisierung der ökonomischen Aktivität. Sowohl die wachsende Dienstleistungsintensität als auch die Globalisierung beruhen auf den neuen Informationstechnologien und werden von ihnen geformt. Beide hatten deutlichen Einfluß auf den urbanen Raum und werden dies weiterhin haben. Die allgemein zunehmende Dienstleistungsintensität in der ökonomischen Organisation und die spezifischen Bedingungen, unter denen die Informationstechnologien verfügbar sind, kommen zusammen, um die Städte erneut zu strategischen "Produktionsorten" zu machen, eine Rolle, die sie verloren hatten, als die Massenproduktion in großem Maßstab zum beherrschenden ökonomischen Sektor wurde. Durch diese informationsbasierten Produktionsprozesse aber wird Zentralität geschaffen. Einer der Schwerpunkte meiner Arbeit war, Städte als Produktionsorte für führende Dienstleistungsindustrien unserer Zeit zu betrachten und daher die Infrastruktur von Aktivitäten, Firmen und Jobs herauszuarbeiten, die für die fortgeschrittene Ökonomie der Unternehmen notwendig ist. Spezialisierte Dienstleistungen werden gewöhnlich in Begriffen von spezialisierten Leistungen verstanden, kaum jedoch hinsichtlich der in diesen implizierten Produktionsprozesse. Legt man die Blickrichtung aber auf den Produktionsprozeß in diesen Dienstleistungsindustrien, so können wir a) einige ihrer standortspezifischen Merkmale erfassen und b) die Behauptung untersuchen, daß es eine neue Dynamik im Hinblick auf Agglomeration bei den fortgeschrittenen Dienstleistungen für Unternehmen gibt, weil sie als ein Produktionskomplex wirken, der die Hauptniederlassungen von Unternehmen versorgt, aber doch unterschiedliche lokale und produktionsspezifische Eigenschaften besitzt. Dieser Dienstleistungskomplex von Produzenten profitiert von einer städtischen Umgebung und benötigt diese in höherem Ausmaß als die Hauptniederlassungen von Unternehmen.

Wir können diese Agglomaretionsdynamik auf verschiedenen Ebenen der urbanen Hierarchie feststellen, die von globalen bis zu regionalen Ebenen reichen. Auf der globalen Ebene konzentrieren sich in einigen Städten die Infrastruktur und die Dienstleistungen, die die Möglichkeit einer globalen Kontrolle eröffnen. Letztere ist wesentlich, wenn die geographische Streuung der ökonomischen Aktivität von Fabriken, Büros oder Finanzmärkten unter der Bedingung kontinuierlicher Konzentration des Eigentums und der Profitaneignung stattfindet. Diese Möglichkeit globaler Kontrolle kann nicht einfach nur unter die strukturalen Aspekte der Globalisierung ökonomischer Aktivität subsumiert werden. Sie muß hergestellt werden. Es reicht nicht aus, die furchteinflößende Macht von großen Unternehmen oder die Existenz irgendeines "internationalen ökonomischen Systems" zu postulieren oder gar davon als Gegebenheiten auszugehen. Wenn man den Blick auf die Produktion dieser Kapazität richtet, dann fügen wir dem vertrauten Thema der Macht von großen Unternehmen eine vernachlässigte Dimension hinzu. Die Betonung liegt dann auf der Praxis der globalen Kontrolle: auf der Arbeit, die Organisation und das Management eines globalen Produktionssystems und eines globalen Finanzmarktplatzes unter den Bedingungen einer ökonomischen Konzentration herzustellen und zu reproduzieren. Macht ist wesentlich für die Organisation der Weltökonomie, aber das gilt gleichermaßen auch für die Produktion, einschließlich der Produktion jener Inputs, die die Möglichkeit der globalen Kontrolle und die an dieser Produktion beteiligte Infrastruktur von Jobs begründen. Dies erlaubt es uns, Städte und die mit der urbanen Gesellschaftsordnung verknüpften Aktivitäten in den Mittelpunkt zu rücken.

Die von mir unterstellte fundamentale Dynamik bedeutet, daß die Agglomeration von zentralen Funktionen in "global cities" desto höher wird, je mehr sich die Ökonomie globalisiert. Die schnelle Zunahme an Dichte von Bürogebäuden in den 80er Jahren, die in den Geschäftsvierteln dieser Städte evident ist, ist ein räumlicher Ausdruck dieser Logik. Die weithin akzeptierte Vorstellung, daß Agglomeration obsolet wird, wenn die Fortschritte globaler Telekommunikation eine größtmögliche Streuung ermöglichen, ist nur teilweise richtig. Ich meine, daß gerade wegen der territorialen Streuung, die von Fortschritten in der Telekommunikation unterstützt wurde, sich die Agglomeration von zentralisierenden Aktivitäten immens verstärkt hat. Das ist nicht nur eine Fortsetzung der herkömmlichen Agglomerationsmuster, sondern, wie man behaupten kann, eine neue Logik der Agglomeration. Eine Schlüsselfrage ist, wann die Fortschritte der Telekommunikation auf diese zentralisierenden Funktionen angewendet werden. Mit dem Potential globaler Kontrolle werden, um es kurz zu sagen, bestimmte Städte zu Knotenpunkten in einem riesigen Kommunikations- und Marktsystem. Fortschritte in der Elektronik und Telekommunikation haben geographisch entfernte Städte in Zentren globaler Kommunikation und eines Fern- Managements verwandelt. Aber zentralisierte Kontrolle und Management einer geographisch verstreuten Menge von Fabriken, Büros und Serviceeinrichtungen entstehen nicht unweigerlich als Teil eines "Weltsystems". Nötig ist hierfür die Entwicklung einer großen Anzahl von hochspezialisierten Dienstleistungen sowie von einem Management und von Kontrollfunktionen auf höchster Ebene.

Ein Großteil der Analysen und der allgemeinen Beurteilung der globalen Ökonomie und der neuen Wachstumssektoren schließen diese vielfältigen Dimensionen nicht ein. Anderswo habe ich gesagt, daß wir die dominante oder übliche Erzählung von der vkonomischen Globalisierung als "Erzählung der Ausschließung" verstehen können (Sassen 1994). Schlüsselbegriffe in der dominierenden Erzählung "Globalisierung, Informationsökonomie und Telematik" suggerieren stets, daß der Ort keine Bedeutung mehr besitze und daß es einzig noch um die gut ausgebildeten Spezialisten gehe. Diese Erzählung privilegiert die Kapazität globaler Informationsübermittlung gegenüber Konzentrationen gebauter Infrastruktur, die diese ermöglichen, den Informationsoutput gegenüber den von SekretärInnen bis hin SpezialistInnen reichenden Angestellten, die diese produzieren, und die neue transnationale Unternehmenskultur gegenüber der Vielzahl von kulturellen Umgebungen, einschließlich der reterritorialisierten Immigrantenkulturen, in denen viele der "anderen" Jobs der globalen Informationsökonomie ausgeübt werden. Kurz, die dominante Erzählung beschäftigt sich selbst mit den höheren Kapitalkreisläufen, aber nicht mit den niederen, und mit den globalen Kapazitäten von großen ökonomischen Akteuren, aber nicht mit der Infrastruktur von Einrichtungen und Jobs, die hinter diesen stehen. Diese enge Perspektive bewirkt, daß aus der Erzählung die Ortsgebundenheit von wichtigen Komponenten der globalen Informationsökonomie ausgeschlossen wird.

Konzentration und die neue Definition des Zentrums: einige empirische Belege

Der Trend zur Konzentration ist auf den nationalen und internationalen Ebenen in allen hochentwickelten Ländern evident. In der Region Paris befinden sich beispielsweise über 40% aller industriebezogenen Dienstleistungen und über 80 % der technisch avanciertesten. In New York sollen nach Schätzungen zwischen einem Viertel und einem Fünftel aller amerikanischen Exporte industriebezogener Dienstleistungen lokalisiert sein, obgleich hier nur 3% der amerikanischen Bevölkerung leben. In London finden 40% aller Exporte von industriebezogenen Dienstleistungen statt. Ähnliche Trends sind in Zürich, Frankfurt und Tokyo evident, die sich alle in viel kleineren Ländern befinden.

An einer anderen Stelle (Saßen 1994) diente meine ins Einzelne gehende empirische Untersuchung mehrerer Städte dazu, die verschiedenen Aspekte dieses Trends zur Konzentration zu erforschen. Hier kann ich nur einige Beobachtungen anführen. Das Beispiel Toronto, einer Stadt, deren Finanzviertel erst vor einigen Jahren erbaut wurde, läßt uns erkennen, bis zu welchem Ausmaß der Zwang zur räumlichen Konzentration in eine ökonomische Dynamik eingebettet und nicht nur die Konsequenz einer aus der Vergangenheit stammenden gebauten Infrastruktur ist, wie man im Fall von älteren Zentren wie New York oder London denken könnte. Aber das Beispiel zeigt auch, daß es besonders bestimmte Industrien sind, vor allem die Finanzindustrien und ihre verwandten Zweige, von denen der Zwang zur räumlichen Konzentration ausgeht. Im Finanzviertel von Manhattan hatte der Einsatz von fortgeschrittenen Informations- und Telekommunikationstechnologien wegen des zusätzlichen Raumbedarfs der "intelligenten" Gebäude einen großen Einfluß auf dessen räumliche Organisation. Ein Ring neuer Bürogebäude, die diese Forderungen erfüllten, wurde unmittelbar um den Kernbereich der Wall Street errichtet, wo kleine Straßen und Grundstücke dies schwierig machen. Überdies ist die Renovierung alter Gebäude dort extrem teuer und oft auch nicht möglich. Die neuen Gebäude in diesem Viertel waren meist Hauptsitze von Unternehmen und Niederlassungen von industrieorientierten Finanzierungsdienstleistungen. Diese Firmen sind meist sehr intensive Benutzer der Telematik, und die Verfügbarkeit über deren avancierteste Formen stellt normalerweise einen wichtigen Faktor für ihre Standortentscheidungen dar. Sie benötigen eine Überfülle an Telekommunikationssystemen, hohe Übertragungskapazitäten, oft eigene Netzwerke etc. Damit einher geht häufig ein Bedarf an großen Räumen. Die technischen Installationen für den Verkaufsbereich einer Firma nehmen beispielsweise einen zusätzlichen Raum ein, der oft mit der Größe dieses Bereichs selbst äquivalent ist.

Das Beispiel Sydney zeigt die Interaktion auf einer großen, kontinentalen ökonomischen Größenordnung und die Zwänge zur räumlichen Konzentration. Die Entwicklungen während der 80er Jahre verstärkten nicht die Multipolarität des australischen urbanen Systems, sondern förderten die Internationalisierung der australischen Ökonomie. Eine markante Zunahme ausländischer Investitionen, eine starke Verlagerung auf finanz-, grundstücks- und industrieorientierte Dienstleistungen trugen zu einer wachsenden Konzentration einer großen Zahl von Aktivitäten und Akteuren in Sydney bei. Parallel dazu gingen diese Aktivitäten und Akteure Melbourne, das lange Zeit das Zentrum kommerzieller Aktivität und kommerziellen Reichtums in Australien gewesen ist, verloren. Auf internationaler Ebene sind die führenden Finanzzentren in der Welt weiterhin interessant, obgleich man hätte erwarten können, daß die wachsende Zahl von Finanzzentren, die in die globalen Märkte integriert sind, den Konzentrationsgrad finanzieller Aktivität in den größten Zentren reduzieren würde. Überdies würde man das auch erwarten, wenn man von der immensen Zunahme des globalen Transaktionsvolumens ausgeht. Doch der Konzentrationsgrad bleibt angesichts der großen Veränderungen in der Finanzindustrie und in der technologischen Infrastruktur, auf der sie beruht, unverändert.

Internationale Bankdarlehen wuchsen beispielsweise von 1,89 Billionen US-Dollars im Jahre 1980 zu 6,24 Billionen US- Dollars im Jahre 1991 an - eine Verfünffachung in nur zehn Jahren. Nach Zahlen der Bank of International Settlements wurde 1980 42% und 1991 41% aller derartigen internationalen Darlehen in den Vereinigten Staaten, Japan und Großbritannien abgewickelt, und hier meist in den drei führenden Städten dieser Länder. Zusammen mit der Schweiz, Frankreich, Deutschland und Luxemburg erhöht sich der gesamte Anteil der Hauptzentren auf 64% im Jahre 1991, was fast derselbe Anteil ist, den diese Länder 1980 hatten. Ein anderes Beispiel der Konzentration ist Chicago, das alleine den Welthandel in Termingeschäften dominiert und wo 60% der weltweiten Verträge über Optionen und Termingeschäfte abgewickelt werden.

Eine neue Geographie der Zentralität und Marginalität

Diese neue Geographie reproduziert teilweise bestehende Ungleichheiten, aber sie ist teilweise auch das Ergebnis einer für aktuelle Formen des ökonomischen Wachstums eigentümlichen Dynamik. Sie nimmt viele Formen an und operiert auf vielen Gebieten, angefangen von der Verteilung der Telekommunikationseinrichtungen bis hin zur ökonomischen und Beschäftigungsstruktur. "Global cities" sind Orte einer immensen Konzentration an ökonomischer Macht und Steuerzentralen in einer globalen Ökonomie, während Städte, die einst große Industriezentren waren, einen außerordentlichen Niedergang erleben. Die Innenbereiche der Städte und Geschäftszentren in metropolitanen Regionen empfangen massive Investitionen zur Entwicklung von Grundstücks- und Gebäudeeigentum und Telekommunikationseinrichtungen, während ärmere städtische Bereiche durch fehlende Ressourcen verkommen. Die Gehälter von gut ausgebildeten Angestellte steigen in ungewohnte Höhen, während das Einkommen von schlecht oder mittelmäßig ausgebildeten Angestellten sinkt.

Finanzierungsdienstleistungen lassen Superprofite entstehen, während industrieorientierte Dienstleistungen gerade überleben können. Neben diesen neuen globalen und regionalen Hierarchien von Städten gibt es ein riesiges Territorium, das immer weiter in die Peripherie abgerutscht ist und von jenen großen Prozessen zunehmend abgeschnitten wurde, die für Wirtschaftswachstum in der neuen globalen Ökonomie sorgen. Eine große Zahl von einst wichtigen Industriezentren und Hafenstädten haben ihre Funktionen verloren und befinden sich nicht nur in den weniger entwickelten, sondern auch in den am weitesten entwickelten Ländern im Niedergang. Aber das ist eine andere Bedeutung der ökonomischen Globalisierung. Wir können uns diese Entwicklungen so vorstellen, daß sie neue Geographien der Zentralität und Marginalität schaffen, die quer zu der alten Dualität von reichen und armen Ländern stehen.

Literaturangaben:

  • Saskia Sassen: The Global City: New York, london, Tokyo. Princeton University Preß 1991
  • Saskia Sassen (Co-curator): Trade Routes. Catalogue, Exhibition at The New Museum of Contemporary Art. New York City 1993
  • Saskia Sassen: Cities in a World Economy. Thousands Oaks, California: Pine Forge/Sage Preß 1994
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer


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