Luc Steels

Die Zukunft der Intelligenz



Einleitung

Intelligenz ist eine Faehigkeit, die sich in kleinen Schritten waehrend Millionen von Jahren der Evolution zunehmend entwickelt hat. Die letzte groessere Gehirnzunahme geschah erst vor 200.000 Jahren. Damit ging eine wichtige Evolution in der Anatomie des Stimmapparates einher, die fuer die Sprache und folglich fuer die vollstaendige Sprachentwicklung notwendig gewesen ist. Es ist eine biologische Tatsache, dass die Evolution niemals aufhoert, obgleich es Phasen relativer Stabilitaet geben kann. Daher ist keineswegs ausgeschlossen, dass neue Intelligenzformen moeglich bleiben oder dass sich die menschliche Gattung weiter in Richtung einer zunehmenden Intelligenz entwickelt. Dieser Aufsatz stellt Spekulationen ueber drei Moeglichkeiten an, in denen sich auf diesem Planet die Intelligenz weiter entwickeln koennte.

1. Obwohl es keine biologische Zeichen gibt, die in Richtung einer Zunahme der anatomischen Basis der Intelligenz bei den Menschen oder bei anderen Gattungen weisen, so werden doch zur Zeit erstaunliche technologische Fortschritte gemacht, die die Erweiterung der biologischen Faehigkeiten ermoeglichen. Die moeglichen Erweiterungen schliessen kuenstliche sensorische Apparate, elektronische Speichereinheiten, Computerprozessoren und mechanische Antriebe ein. Was wuerde geschehen, wenn diese Technologe auf uns angewendet wuerde? Wuerde dies zu einer neuen Gattung fuehren? Diese Gattung liesse sich als "Homo Cyber Sapiens" bezeichnen. Deren Mitglieder koennten als Erweiterungen von uns beginnen, aber schrittweise unabhaengiger von der biologischen 'Wetware' werden, um ihr Leben fortzusetzen. Minski hat vermutet, dass dies zu einer Form der Unsterblichkeit fuehren koennte. Diese Techniken werden vielleicht erst an Tieren ausprobiert werden, um sie intelligenter zu machen. Man nimmt an, dass Primaten bis zu einer bestimmten Grenze intelligent sind und sogar eine bestimmte Sprachkompetenz besitzen. Vielleicht koennten wir damit beginnen, ihnen einen kuenstlichen Stimmapparat zu geben, mit dessen Hilfe sie sprechen koennten.

2. Es gibt eine zweite Moeglichkeit fuer andere Intelligenzformen. Versuche, vollstaendig kuenstliche Humanoide, d.h. intelligente Roboter, zu bauen, setzten in den 50er Jahren ein und haben kontinuierlich Fortschritte erzielt. In manchen optimistischen Szenarios lassen Roboter mit der Kapazitaet menschlicher Intelligenz nur noch fuenfzig Jahre auf sich warten. Doch viele Robotikingenieure sind weitaus pessimistischer. Fortschritte im Bereich der Kuenstlichen Intelligenz wurde bislang fast ausschliesslich mit einer entkoerperten Intelligenz erzielt, indem man sich auf die Modellierung und Implementation von Denkprozessen konzentrierte. Dabei gibt es jedoch, wie ich spaeter ausfuehren will, noch viele Hindernisse. Gegenwaertig wird ein neuer Ansatz ausprobiert, der paradoxerweise die Bedeutung der ingenieursmaessigen Konstruktion zugunsten der Biologie herabsetzen will. Seine Vertreter behaupten, dass wir erst "kuenstliches Leben" schaffen muessen, bevor kuenstliche Intelligenz moeglich sein wird. Mit diesem KL-Ansatz wird vielleicht eines Tages eine kuenstliche Gattung mit einer menschenaehnlichen Intelligenz realisierbar. Ich schlage vor, diese Gattung "Robot Homonidus Intelligens" zu nennen.

3. Es gibt gegenwaertig noch eine dritte, sehr wichtige Entwicklung: die Entstehung einer neuen virtuellen Welt, die als Cyberspace bekannt ist. Diese Welt basiert auf der Computertechnologie, aber sie erwirbt allmaehlich einige der Merkmale der biologischen Welt. Der Cyberspace ist offen, weil er stets durch neue Hardware, neue Verbindungen, neue Anwendungen und neue Benutzer erweitert wird. Er ist ein verteiltes System, das von keiner einzigen Entitaet gesteuert wird. Er besitzt viele Komplexitaetsschichten und bildet ein komplexes dynamisches System, in dem sich Phaenomene wie Chaos und Selbstorganisation ereignen koennen. Gegenwaertige Anwendungen wie das World Wide Web gehen nicht ueber die Speicherung, Verteilung und Darstellung von Informationen hinaus, doch neue, als Software-Agenten bekannte Programme koennten zu drmatischen Durchbruechen fuehren. Software-Agenten sind mobile Programme, die einen Teil ihrer eigenen Daten mit sich fuehren. Sie koennen als Repraesentanten ihrer Besitzer handeln und sich an die computerspezifischen Bedingungen anpassen, in denen sie sich befinden. Manchmal haben Software-Agenten menschenaehnliche Schnittstellen. Wir stehen am Beginn einer faszinierenden Forschung, wie Software-Agenten ihre eigene Komplexitaet durch den Einsatz biologischer Mechanismen wie den der Evolution durch natuerliche Selektion steigern koennen. Man kann sich vorstellen, dass dann, wenn die Welt der Software-Agenten durch eigene Kraft an Komplexitaet gewinnt, neue Formen der Intelligenz entstehen, die die menschliche Intelligenz uebertreffen koennten. Die Existenz von starken Schnittstellen mit Menschen und der realen Welt koennte diese Software-Agenten in der Zukunft so selbstverstaendlich werden lassen wie biologische Entitaeten.

Der Homo Cyber Sapiens

Bei jedem bedeutsamen Sprung in der Entwicklung der menschlichen Intelligenz gab es eine dramatische Zunahme der Gehirngroesse. Der Homo Sapiens hat beispielsweise gegenueber dem Homo Erectus ein um 20% groesseres Hirnvolumen. Es gibt keine Zeichen dafuer, dass sich das Gehirn (selbst in einer langsamen Geschwindigkeit) weiter vergroessert, aber in nicht allzuferner Zukunft koennte eine technische Gedaechtniserweiterung moeglich werden. Kuenstliche Gedaechtnisse haben an Speicherkapazitaet zugenommen und an Umfang abgenommen. Ein Ende ist noch nicht in Sicht, besonders wenn sich die Nanotechnologie voll entwickeln wird. Neue biologische Sensoren und motorischen Systeme muessen sich auch kontinuierlich entwickelt haben, waehrend die menschliche Gattung Fortschritte in Bezug auf die Intelligenz gemacht hat. Ein Beispiel der juengeren Geschichte ist der Stimmapparat, der fuer die Sprachfaehigkeit wesentlich ist. Aber auch hier gibt es eine vergleichbare technische Entwicklung mit zunehmend besseren und kleineren Sensoren und motorischen Systemen. Eine der letzten Entwicklungen sind Mikromaschinen, die direkt in Silikon gestanzt werden.

Die Technik ist also da. Wenn wir uns eine Moeglichkeit vorstellen koennten, leistungsstarke Gehirn-Computer- Schnittstellen zu konstruieren, mit deren Hilfe ein biologisches Gehirn mit einem zusaetzlichen Gedaechtnis, groesserer Verarbeitungskapazitaet und weiteren Sensoren sowie motorischen Systemen ausgestattet werden kann, dann liesse sich die gewuenschte signifikante Steigerung der Gehirngroesse realisieren. Es wird intensiv ueber Gehirn-Computer-Schnittstellen sowohl seitens der Technik geforscht, wo es auch Versuche gibt, Schnittstellen zwischen elektronischen Schaltkreisen und Neuronen herzustellen, als auch seitens der Biologie, wo versucht wird, technische Systeme zu implantieren. Erfolge wurden mit Hoerimplantaten erzielt, in die das Gehirn Neuronen wachsen laesst, die Schnittstellen bilden, und sich daran adaptiert, von den elektronischen Schaltkreisen stammende Informationen aufzunehmen. Intensiv wird zur Zeit untersucht, kuenstliche Retinas zu bauen und das Sehvermoegen fuer Blinde wieder herzustellen.

An einer allgemeinen Schnittstelle mit dem Gehirn als ganzem, z.B. um die Sprachkapazitaet oder das Gedaechtnis zu steigern, wird gegenwaertig noch nicht geforscht. Eine wichtige Frage ist natuerlich, wie die Prothese beschaffen sein sollte. In einer Hypothese sollten die kuenstlichen Ereiterungen des Gehirns die Arbeitsweise der menschlichen Neurophysiologie nachahmen. Neurale Modellierung hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt, und es wurden verschiedene Systeme entwickelt, von denen einige VLSI benutzen. Bislang ist die Leistung dieser kuenstlichen neuronalen Netzwerke weit von der natuerlicher Systeme entfernt, weswegen man behaupten koennte, dass man dann, wenn man ihnen nahebleiben will, unnoetigerweise die moegliche Leistung der kuenstlichen Systeme beschraenkt. Wenn wir unser Gehirn beispielsweise mit einer Recheneinheit erweitern wollen, werden wir zweifellos eine haben wollen, die Berechnungen in einer mit gegenwaertigen Computern vergleichbaren Geschwindigkeit und Genauigkeit durchfuehrt und nicht wie eine Recheneinheit, die so langsam und fehleranfaellig ist wie das menschliche Gehirn. Ganz aehnlich ist es, wenn wir unser Gehirn mit neuen Sprachkompetenzen ( zum Beispiel mit "plug-in"- Modulen mit dem Wortschatz und der Grammatik einer Sprache) ausstatten wollen. Dann wuenschen wir, dass ein solches Modul schnell und genau ist, aber nicht, dass es eine kontinuierliche Praxis wie die natuerliche Sprachkenntnis benoetigt. In einer anderen Hypothese kann das kuenstliche Gehirn ganz anders als das natuerliche Gehirn sein. Es reicht, Bruecken zwischen beiden zu schaffen, so dass beide Systeme wechselseitig Zugang auf die Inhalte und das, was prozessiert wird, besitzen. Eine solche Hypothese wuerde sich eher auf die Ergebnisse der wissensorientierten KI- Forschung verlassen.

Die KI-Forschung hat Systeme mit einer beeindruckenden Leistung in den Bereichen des Computerschachs, der Expertensysteme fuer Problemloesung und der Verarbeitung der natuerlichen Sprache hervorgebracht, die die Hardware des Gehirns nicht nachahmen. Insoweit sind KI-Systeme nicht situiert und adaptiv. Sie werden muehsam von Ingenieuren gebaut und muessen fast immer von Hand erweitert werden. Um sie auch in einem evolvierenden Kontext einsetzen zu koennen, muesste es zumindest einen Mechanismus fuer ein regelmaessiges Updating geben. Heute weiss noch niemand, wie man dies, trotz der grossen Erfolge beim Maschinenlernen, in einer effizienten Weise realisieren soll.

Der Schwerpunkt bei der Forschung ueber Schnittstellen von sensorischen und motorischen Systemen mit dem Gehirn liegt in der Ersetzung von geschaedigten sensorischen Funktionen bei behinderten Menschen, doch kann dieselbe Technologie auch dazu eingesetzt werden, andere Funktionen zu erweitern. Menschen beispielsweise, die bereits zwei Augen besitzen, koennten mit zusaetzlichen Kameras ausgestattet werden, um den Sichtbereich zu vergroessern oder um direkt Motoren fuer die Lokomotion zu steuern. Falls irgendwie Verbindungen zwischen dem Gehirn und der elektronischen Datenautobahn eingerichtet werden koennten, dann gaebe es die fesselnde Moeglichkeit, dass das Gehirn zu riesigen Informationsmengen Zugang hat und im Gegenzug Handlungen ueber die Entfernung hinweg durch die Vermittlung von elektronischen Geraeten ausfuehren kann. Werden wir in Zukunft elektronische Post direkt "lesen" oder Botschaften an andere Gehirne "senden", ohne die Vermittlung unseres normalen Sensoriums oder vielleicht sogar ohne die Vermittlung von Sprache? Werden wir im Cyberspace reisen und dort Erfahrungen machen, wenn die entsprechenden Gehirn-Computer-Schnittstellen einmal vorhanden sind? Diese Moeglichkeiten wuerden eine radikale Revolution fuer unsere Wahrnehmung der Welt verursachen. Zeit und Raum beispielsweise, die fuer uns jetzt ziemlich strikte Beschraenkungen sind, wuerden dann keine einengenden Faktoren mehr sein und koennten auf ganz andere Weise erfahren werden.

Wie realistisch ist die Entwicklung des "Homo Cyber Sapiens"? Heute wissen wir noch fast nichts darueber, wie wir unsere sensorischen und motorischen Kapazitaeten vergroessern und Plug-in-Geraete einsetzen koennten, um unser Gedaechtnis und unsere Verarbeitungskapazitaeten mit industriell hergestellten Modulen zu erweitern, die uns fuer bestimmte Aufgaben mit Wissen und Geschicklichkeit versorgen. Es gibt in diesem Zusammenhang Experimente auf dem unteren Level, und Kuenstler wie der Australier Stelarc sind in der Erforschung der Interaktion zwischen Koerper und kuenstlichen Geraeten weit vorangeschritten, aber ein routinierter Einsatz scheint noch weit in der Zukunft zu liegen. Wie weit darf man diese Entwicklungen aus ethischer Perspektive ueberhaupt vorantreiben? Einerseits ist es furchteinfloessend, weil das Gehirn nicht nur das komplexeste, sondern auch das heikelste Organ des menschlichen Koerpers ist. Furchteinfloessend ist es auch, weil die neue Gattung uns an Macht ueberlegen sein koennte. Andererseits erscheint die Vergroesserung unseres Gehirns als eine natuerliche Entwicklung, da die Evolution der Intelligenz auch in der Vergangenheit kontinuierlich erfolgt ist. Die oekologischen Zwaenge scheinen ueberdies die weitere Entwicklung der Intelligenz zu erzwingen.

Der Robot Homonidus Intelligens

Obgleich gegenwaertig die Arbeit an der Erweiterung unserer Gehirnkapazitaeten erst in ihren Anfaengen steht, so gilt das nicht fuer die Konstruktion von Robotern und Kuenstlicher Intelligenz. Die weltweiten Erfolge der Forschung sind jedoch bislang relativ gering gewesen, vergleicht man sie mit denen in der Biologie beispielsweise hinsichtlich des Verstaendnisses von Gehirnfunktionen oder den Erfolgen bei der Entdeckung von Elementarteilchen. Trotzdem gab es seit den Anfaengen der Kybernetik und der Kuenstlichen Intelligenz eine konstante Forschungsarbeit, deren Ergebnisse sehr beeindruckend sind. Eine ganze Reihe von Programmen sind geschrieben worden, die Merkmale von (menschlicher) Intelligenz zeigen. Zum Beispiel treten Schachprogramme jetzt auf dem Rang der Grossmeister an. Expertensysteme haben menschenaehliche Leistungen bei schwierigen Problemen wie dem Planen, der Diagnose oder des Design demonstriert. Natuerlich-sprachliche Programme hoher Komplexitaet sind fuer die Verarbeitung und Produktion natuerlicher Sprache entwickelt worden. Einige maschinelle Lernprogramme sind imstande gewesen, dichte Repraesentationen aus Beispielen zu generieren. Aber es gibt noch immer sehr grosse Beschraenkungen der gegenwaertigen Technik, die sogar die Frage entstehen lassen, ob wir jemals intelligente Roboter haben werden.

1. Ein Grossteil der Forschung im Bereich der wissensbasierter KI durchlaeuft folgenden Kreislauf: (a) Es wird ein gewoehnlich wertvolles Spezialwissen identifiziert, (b) dieses Spezialwissen wird auf der Ebene des Wissens modelliert und formalisiert, dann wird (c) die formale Repraesentation in einer computerbasierten Form mit der Hilfe von Techniken der symbolischen Programmierung kodiert. Das daraus entstehende System, meist "knowledge system" genannt, wird in eine bestimmte Umgebung eingebaut und von Menschen in ihrer Arbeit als Werkzeug gebraucht. In dieser Vorgehensweise wurde ein hoher Grad an Perfektion erreicht, und eine grosse Vielfalt von Systemen wurde konstruiert und zur Anwendung gebracht. Doch es gibt zwei wichtige Probleme. Das erste ist, dass die zur Konstruktion eines wissensbasierten Systems erforderliche Arbeit sehr gross ist. Man benoetigt mehrere Mann-Jahre an Arbeit, um ein eingeschraenktes Expertenwissen abzubilden. Fuer nicht-triviale Aufgaben koennen daraus Jahrzehnte von Mann-Jahren werden. Ein zweites und wichtigeres Problem ist jedoch, dass dies nur Instanzen einer "gefrorenen Intelligenz" ohne die damit verbundenen Mechanismen und Prozesse abbildet, die das intelligente Verhalten entstehen liessen. Das bedeutet, dass die Wartung und Anpassung von Hand erfolgen muss, was ziemlich teuer und in den meisten Faellen nicht realistisch ist. Man kennt einiges ueber die internen Mechanismen der Wissensrepraesentation, des Denkens und der Problemloesung, aber wir verstehen noch nicht, wie sich diese Mechanismen in der Interaktion mit der Umwelt entwickeln.

2. Wissensbasierte Systeme sind Beispiele einer entkoerperten Intelligenz. Sie besitzen keine direkten Verbindungen mit der wirklichen Welt durch Sensoren und motorische Systeme. Die Verbindung wird durch die Vermittlung der Menschen hergestellt. Das funktioniert in Bereichen wie dem Recht ganz gut, wo die Inputs und Outputs bereits eine symbolische Form besitzen. Aber wenn wir Roboter wollen, die unabhaengig in ihrer Umgebung arbeiten sollen, werden die Schnittstellen mit der wirklichen Welt essentiell. Man hat lange Zeit geglaubt, dass es genuegen wuerde, die von KI-Systemen gebrauchten Symbole mit der Welt durch Sensoren und motorischen Systemen zu verbinden, doch die dabei entstehenden Probleme sind riesig. Sie sind meist mit der Tatsache verknuepft, dass die von den Sensoren empfangenen Signale nicht genuegend Information enthalten, um daraus die detaillierten symbolischen Weltmodelle erzeugen zu koennen, die von den klassischen KI-Plantechniken benoetigt werden, oder es wuerde zu lange dauern, dies so zu machen. UEberdies werden motorische Systeme niemals voellig abgesichert sein, d.h. es wird niemals moeglich sein, einen bestimmten Handlungsverlauf im voraus zu planen und darauf zu hoffen, dass die Ausfuehrung so perfekt sein wird, dass sie nicht adaptiert werden muss. Diese Schwierigkeiten haben in den letzten Jahren zu einem neuen "bottom-up"-Ansatz fuer die Kuenstliche Intelligenz gefuehrt, der versucht, minimale Weltmodelle zu benutzen, und der den Schwerpunkt darauf legt, durch die Vermittlung von dynamischen Prozessen eine direkte Kopplung von Wahrnehmung und Ausfuehrung herzustellen.

3. Gegenwaertige wissensbasierten Systeme sind ebenso wie Roboter Maschinen. Sie haben durch sich selbst keine Existenzbegruendung. Sie sind keine Individuen, nicht einmal Organismen. Obgleich sie in vielen Faellen die Moeglichkeit besitzen, die angemessenste Handlung aus einem Handlungsrepertoire zu waehlen, werden die Ziele und die moeglichen Handlungen von aussen vorgegeben. Wenn zwei Roboter kooperieren, dann geschieht dies deswegen, weil Menschen in sie Verhaltensweisen einprogrammiert haben, die eine Kooperation hervorbringen. Das Beduerfnis nach Kooperation entsteht nicht im Inneren der Roboter oder aus Situationen, in denen sie sich befinden. In diesem Sinn sind gegenwaertige KI-Systeme Werkzeuge fuer Menschen und keine unabhaengig existierenden, autonomen Entitaeten aus eigenem Recht. Es ist voellig unklar, wie man einem Roboter ein Selbstgefuehl, das Recht auf Initiative, die Verantwortung fuer seine eigene Handlung usw. geben koennte. Noch schlimmer ist, dass innerhalb des Kontextes der Kuenstlichen Intelligenz kaum an der Konstruktion autonomer Agenten gearbeitet wird.

Diese drei ungeloesten Probleme bilden betraechtliche Hindernisse fuer die Entwicklung des "Robot Homonidus Intelligens". Die Hindernisse sind nicht wirklich technischer Natur. Der gegenwaertige Stand der Elektronik, der Computertechnik und der Mechanik erlaubt die Konstruktion des Koerpers und des Gehirns eines Humanoiden. Forschungen in dieser Richtung finden statt. Das wirkliche Hindernis ist das Fehlen einer Theorie der Intelligenz und besonders einer Theorie, die erklaert, wie eine in einer Umgebung der wirklichen Welt verwurzelte Intelligenz zustandekommt.

Um diese fundamentalen Engpaesse zu ueberwinden, ist seit kurzem ein neuer Ansatz in der KI-Forschung entstanden, der sich in bestimmten Hinsichten radikal vom wissensbasierten Ansatz unterscheidet, wie er gegenwaertig in der KI vorherrscht. Die charakteristischste Eigenschaft dieses Ansatzes ist die Abwendung von der ingenieursmaessigen Perspektive und die Hinwendung zur Biologie. Dabei geht es nicht um Versuche, realistische biologische Modelle zu entwickeln, wie dies manche Netzwerkwissenschaftler machen , sondern darum, dass Wissenschaftler versuchen, die Prinzipien zu verstehen, mit denen biologische Systeme arbeiten, und diese bei der Kontruktion von kuenstlichen Systemen anzuwenden. Der Begriff "Konstruktion" ist hier nicht mehr ganz geeignet, weil eine der Hauptideen darin besteht, dass intelligente autonme Systeme nicht gebaut werden koennen, sondern in einem aehnlichen Prozess sich entwickeln muessten, wie sich Intelligenz in der Natur entwickelt hat: durch den Einsatz einer Kombination von Evolutionsprinzipien - natuerliche Selektion, Anpassung und Entwicklung -, die auch die Entwicklung eines biologischen Individuums bestimmen. Dieser Ansatz wird der "artificial life approach to artificial intelligence" genannt.

Wir haben in unserem Labor beispielsweise ein komplettes Roboter-OEkosystem geschaffen, das fuer die Roboter eine Umwelt mit verschiedenen Zwaengen (z.B. die Notwendigkeit, Energie zu sammeln und sich zu versichern, dass sie verfuegbar ist), verschiedene Roboteragenten, die kooperieren muessen, sich aber auch untereinander in Konkurrenz befinden, und ein wachsendes Repertoire von adaptiven strukturalen Komponenten (Verhaltenssysteme genannt) enthaelt, die ursaechlich fuer das Verhalten verantwortlich sind.

Eine solche integrierte experimentelle Umwelt stellt sicher, dass alle unterschiedlichen Ebenen (genetische, strukturale, individuelle, kollektive) mit jeweils starken Interaktionen mit der Umwelt gleichzeitig praesent sind. Dadurch ist ein holistischer Ansatz zur Intelligenzforschung moeglich. Unser Ziel ist, Szenarios zu entwickeln und zu testen, die Stufen des Fortschritts hin zu intelligenten Agenten zeigen, aehnlich wie Biologen und Chemiker Szenarios fuer den Ursprung des Lebens oder Physiker Szenarios fuer die Entstehung des Universums untersuchen. Die grosse Herausforderung besteht darin, nur Prinzipien zu verwenden, die mit den physikalischen und biologischen Gesetzen kompatibel sind, und zu vermeiden, spezifische geistige Faehigkeiten zu programmieren. Intelligentes Verhalten, eingeschlossen Individualitaet, sprachliche Kommunikation, Kooperation usw., soll als Ergebnis von Zwaengen im OEkosystem entstehen, in dem die Agenten sich befinden, und von strukturformenden Prozessen wie Selbstorganisation oder Selektion.

Wir haben bereits wichtige Schritte fuer die Evolution hoeherer Intelligenz nachvollzogen. In einem Experiment durchlief ein Roboter eine Reihe von Entdeckungen: dass er seine Aktivitaet in der Ladestation herunterfahren muss, um die Zeit fuer das Wiederaufladen zu maximieren, dass Phototaxis bei der Suche nach der Aufladestation behilflich war, dass ein Kontaktschalter ein unmittelbarer Hinweis auf die Zufahrt zur Aufladestation war usw. In einem anderen Experiment teilte sich eine Gruppe von identischen Robotern spontan in verschiedene Gruppen auf, wobei eine Gruppe signifikant mehr arbeitete als die andere Gruppe. Diese Experimente zeigen, dass das spontane Wachsen komplexen Verhaltens bei Roboteragenten im kommenden Jahrzehnt zu einer Realitaet werden und dass dieser Forschungsansatz vielleicht zu Formen einer kuenstlichen Intelligenz fuehren koennte.

Software-Agenten

Das lose verknuepfte, weltweite Computernetzwerk, das als Internet bekannt ist, waechst mit exponentieller Geschwindigkeit. Es besteht aus Millionen von Computersystemen, die Ressourcen durch die Akzeptanz von standardisierten Protokollen fuer den Erhalt, die Praesentation und den Durchlauf von Information teilen. In den letzten Jahren hat das World Wide Web (WWW) zu einer unglaublichen Zunahme beim Austausch von Informationen zwischen Menschen gefuehrt. Tausende von Sites sind entstanden, die lokale Information von der ganzen Welt aus sichtbar machen. Die Information kann die Form von Texten, Bildern, Toenen und Video annehmen. Mit verschiedenen Formen der Interaktivitaet wurde experimentiert. Beispielsweise wird das von einer Kamera aufgezeichnete Bild unmittelbar im Netzwerk verteilt. Eine Entwicklung, die noch nicht begonnen hat, aber sich ganz klar in der Vorbereitung befindet, ist die Praesenz von Software-Agenten, die im Internet arbeiten. Technisch ist ein Software-Agent ein mobiles Programm, das Teile seiner Daten mit sich fuehrt. Das Programm ist in dem Sinne mobil, dass es seinen Auftrag auf einer Maschine unterbrechen und sich selbst durch die Benutzung des Internet zu einer anderen Maschine uebertragen und dort den Auftrag fortsetzen kann. In einem gewissen Sinn sind Computerviren ein erstes, freilich negatives Beispiel fuer Software-Agenten, aber es sind viele positiven Anwendungen vorstellbar. Man kann sich beispielsweise vorstellen, dass email-Botschaften viel aktiver sein koennten. Sie koennten Graphiken, Toene und Programmteile wie interaktive Dialogfaehigkeiten oder Moeglichkeiten enthalten, dem Empfaenger der Nachricht etwas zu zeigen. Sie koennten auch die Moeglichkeit bereitstellen, zu den Sendern mit Information zurueckzukommen, die sie an einem entfernten Ort gesammelt haben. Eine weitere Anwendung bestuende darin, dass ein Agent das WWW durchsucht, um Informationen, z.B. ueber Hotels und Reisemoeglichkeiten zu einem gewuenschten Ort, fuer seinen Eigentuemer zu finden.

Man betreibt gegenwaertig Forschungen darueber, Agenten unterschiedliche Stufen der Autonomie zu verleihen. Vor allem geht es um die Autonomie, herumzuwandern und sich auf anderen Maschinen einzuklinken , und, sofern dies moeglich ist, das Programm an neue Gegebenheiten anzupassen. Dann geht es um die Autonomie, als Repraesentant zu handeln, was bedeuten wuerde, dass der Agent mentale Einstellungen wie UEberzeugungen und Verpflichtungen sowie die Autoritaet fuer Verhandlungen besitzt.

Die interessanteste Entwicklung betrifft Agenten, die ihre Funktionalitaet erweitern, waehrend sie in dynamisch wechselnden, offenen Umgebungen handeln. Tom Ray hat beispielsweise ein System mit dem Namen "Tierra" entwickelt, wo ein Agent die Form eines Programms hat, das sich selbst kopieren kann. Der Kopiervorgang begeht zufaellig Fehler, die Varianten produzieren. Die selektionistischen Kriterien reichen his zu Begrenzungen in Zeit und Raum, und das zufaellige Handeln eines "Sensenmannes" wird blind neue Programme zerstoeren. Ray hat gezeigt, dass in dieser Computerumwelt verschiedene Kopierprogramme spontan entstehen. Es bilden sich auch Parasiten, die Programmteile von anderen benutzen, um sich selbst zu kopieren. Ray beschaeftigt sich gegenwaertig mit einer verteilten Version dieses Systems mit dem Namen "NetTierra", wo Agenten auch mobil sein koennen und so die Computerressourcen von anderen Computern benutzen koennen, um ihre Verbreitung in der gesamten Population zu foerdern. Diese Experimente sind wichtige einleitende Schritte, um zu lernen, wie neue Funktionalitaet in Software-Agenten unabhaengig von Konstruktionsintentionen entstehen koennten, und um die Sicherheitsprobleme zu untersuchen, die in der Evolution von autonomen Software-Entitaeten enthalten sind.

Die Forschung ueber Software-Aganten befindet sich ganz in ihren Anfaengen. Die bislang im Internet ausgeschickten Agenten haben nicht die zuvor diskutierte Autonomie und koennen auch nicht als intelligent bezeichnet werden. Sie verwenden praktisch keine Repraesentations- oder Denkfaehigkeiten. Wenn jedoch einige der in der Robotik entwickelten Techniken auf Software-Agenten uebertragen werden koennten und wenn das Problem, wie neue Komplexitaet in Agentengesellschaften spontan entstehen koennte, sich loesen laesst, dann besteht kein Zweifel daran, dass der Cyberspace zunehmend mehr von komplexeren und intelligenteren Lebewesen bewohnt werden wird.

Zusammenfassung

Der Aufsatz diskutierte Moeglichkeiten, durch die neue Formen der Intelligenz entstehen koennten, die mit der gegenwaertigen menschlichen Intelligenz vergleichbar oder sogar groesser als diese sind. Eine Moeglichkeit ist der "Homo Cyber Sapiens", der in der Biologie verankert ist und auf Erweiterungen durch technologische Artefakte basiert. Die andere Moeglichkeit ist der "Robot Homonidus Intelligens", der ganz technisch, aber in der Welt verankert ist. Die dritte Moeglichkeit stellen die Software-Agenten dar, die im Cyberspace leben und sich fortpflanzen. Alle diese Moeglichkeiten koennen durch technologische Fortschritte und durch die in den menschlichen Gesellschaften zunehmenden Zwaenge Wirklichkeit werden, obgleich ihre Verwirklichung erst in ferner Zukunft geschehen wird, was besonders die ersten beiden Moeglichkeiten betrifft.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer


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