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Vom Psycho- zu Cyberstrategien: Prothetik, Robotik und Tele-Existenz



Der Koerper muss aus dem psychischen Bereich des Biologischen in die Cyberzone der Schnittstelle und der Erweiterung situiert werden - vom genetischen Behaelter zur elektronischen Extrusion. Posthumane Strategien handeln mehr von der Ausloeschung als von einer Affirmation: eine Obsession, die nicht mehr mit dem Selbst, sondern mit einer Strukturanalyse verbunden ist. Die Begriffe der Evolution der Arten und der Unterscheidung der Geschlechter werden durch alternative Mensch-Maschine-Hybriden neu kartiert und organisiert.

Ueberholte metaphysische Unterscheidungen zwischen Seele und Koerper oder zwischen Geist und Gehirn werden durch Interessen an einer Trennung zwischen Koerper und Art ersetzt, wenn der Koerper neu gestaltet wird und sich in Form und Funktionen vervielfaeltigt. Cyborg-Koerper sind nicht nur einfach vernetzt und erweitert, sie sind auch ausgestattet mit implantierten Komponenten. Die in den Koerper eindringende Technologie eliminiert die Haut als ein bedeutungsvollen Ort, als eine angemessene Schnittstelle oder als Barriere zwischen dem oeffentlichen Raum und dem physiologischen Bereich. Die Bedeutung der Cyberkomponente kann sehr wohl in dem Koerperakt bestehen, seine Haut zu verlieren.

Waehrend Menschen immer mehr mit Ersatzkoerpern in weit entfernten Raeumen handeln, arbeiten sie immer mehr mit intelligenten und interaktiven Bildern. Die Moeglichkeit von interaktiven Bildern laesst eine unerwartete Symbiose von Mensch und Maschine entstehen. Das Posthumane kann daher sich in der intelligenten Lebensform von autonomen Bildern manifestieren.

1. Der Mythos der Information.

Die Informationsexplosion ist ein Indikator einer evolutionaeren Sackgasse. Sie mag den Hoehepunkt der menschlichen Zivilisation darstellen, aber sie ist zugleich der Wendepunkt seiner evolutionaeren Existenz. In unserer Phase biologischer Dekadenz tauchen wir in die Information ein, als ob dies unsere genetischen Maengel kompensieren wuerde. INFORMATION IST DIE PROTHESE, DIE DEN VERALTETEN KOERPER ABSTUETZT. Das Sammeln von Informationen wurde nicht nur zu einem bedeutungslosen Ritual, sondern zu einem toedlich zerstoerenden Prozess der Paralyse, weil man sie so davor schuetzt, in materielle phylogenetische Handlung ueberzugehen. Das Sammeln von Informationen befriedigt das ausrangierte Koerperprogramm aus dem Pleistozaen. Es ist geistig verfuehrerisch und scheint biologisch gerechtfertigt zu sein. Der Cortex sehnt sich nach Informationen, aber er kann sie nicht mehr aufnehmen und kreativ verarbeiten. Wie kann ein Koerper subjektiv und gleichzeitig sowohl Nanosekunden und Nebulae verarbeiten? DER CORTEX, DER DAMIT NICHT SCHRITT HALTEN KANN, FINDET SEINE LETZTE ZUFLUCHT IN DER SPEZIALISIERUNG. Spezialisierung war einst ein Trick, um methodisch Informationen zu sammeln, aber jetzt ist sie eine Manifestation des 'information overload'.

Einst als Mittel zum Verstehen der Welt gerechtfertigt, schafft sie jetzt ein konfligierendes und widerspruechliches, ein fliessendes und fragmentarisches Feld unverbundener und unverarbeiteter Daten. INFORMATION IST STRAHLUNG. Die bedeutungsvollste planetarische Druck wird nicht mehr von der Gravitation, sondern vom Informationsschub ausgeuebt. Das psychosoziale Aufbluehen der menschlichen Gattung ist an sein Ende angelangt. Wir befinden uns in der Daemmerung unserer zerebralen Phantasien. Das Symbol hat jede Macht verloren, die Anhaeufung von Information hat jeden Zweck eingebuesst. Gedaechtnis fuehrt zur Nachaeffung, Nachdenken reicht nicht aus. DER KOERPER MUss AUS SEINEM BIOLOGISCHEN; KULTURELLEN UND PLANETARISCHEN BEHAELTER AUSBRECHEN.

2. FREIHEIT DER FORM.

In unserem Zeitalter des information overload ist nicht mehr die Freiheit der Ideen, sondern die Freiheit der Form von Bedeutung: die Freiheit, den Koerper zu modifizieren und zu veraendern. Die Frage ist nicht, ob die Gesellschaft den Menschen die Freiheit des Ausdrucks zugestehen wird, sondern ob die menschlichen Gattung es Individuen freistellen wird, alternative Genkodierungen zu realisieren.

FUNDAMENTALE FREIHEIT HEIssT FUER INDIVIDUEN, IHR EIGENES DNA-SCHICKSAL BESTIMMEN ZU KOENNEN. Biologischer Wandel ist kein Zufall mehr, sondern die Folge einer Wahl. EVOLUTION DURCH DAS INVIDUUM, FUER DAS INDIVIDUUM. Mezintechniken, die den Koerper ueberwachen, aufzeichnen und modifizieren, stellen auch die Mittel bereit, die Koerperstruktur zu manipulieren. Wenn wir Prothesen hinzufuegen oder implantieren, um das Leben eines Menschen zu verlaengern, dann haben wir auch die Moeglichkeit geschaffen, eine postevolutionaere Entwicklung in Ganz zu bringen - ZUSAMMENGESTUECKELTE MENSCHEN SIND POSTEVOLUTIONAERE EXPERIMENTE.

3. BIOTECHNISCHE GEBIETE.

Der Koerper beherbergt jetzt fremde Umwelten, die zahllose KOERPERSCHRITTMACHER enthalten - visuelle und akustische Steuermittel, die den Koerper aktivieren, konditionieren und kontrollieren. Die Rhythmen seines Kreislaufsystems muessen durch kuenstliche Signale vermehrt werden. Menschen werden jetzt synchron mit leichten, zirkulierenden Rhythmen von pulsierenden Bildern reguliert. Bilder, die mit Morphing-Verfahren veraendert werden, machen den Koerper obsolet ...

4. DER VERALTETE KOERPER

. Die Frage steht an, ob ein zweifuessiger, atmender Koerper mit einem binokulaeren Blick und einem Gehirn in der Groesse von 1400 cm 3 noch eine angemessene biologische Form ist. Er kann die Quantitaet, Komplexitaet und Qualitaet der aufgehaeuften Informationen nicht bewaeltigen; er wird von der Praezision, Geschwindigkeit und macht der Technologie eingeschuechtert und ist biologisch schlecht dafuer ausgeruestet, sich seiner neuen extraterrestrischen Umwelt anzupassen. Der Koerper ist weder eine besonders leistungsfaehige noch eine besonders haltbare Struktur. Er funktioniert oft nicht richtig und ermuedet schnell; seine Leistung ist von seinem Alter abhaengig. Er ist anfaellig fuer Krankheiten und einem sicheren und fruehen Tod geweiht. Seine UEberlebensparameter sind sehr duerftig: er kann nur Wochen ohne Essen, Tage ohne Trinken und Minuten ohne Sauerstoff ueberleben. Aus dem FEHLEN EINES MODULAREN DESIGNS und wegen seiner ueberreagierenden Immunsystems ist es schwierig, schlecht funktionierende Organe zu ersetzen. Es mag der Gipfel technologischer Verruecktheit sein, den Koerper in Form und Funktion als veraltet zu sehen, doch koennte dies gerade der Hoehepunkt der menschlichen Erkenntnis sein. Nur wenn der Koerper seiner gegenwaertigen Position gewahr wird, kann er seine post-evolutionaeren Strategien ausbilden. Es geht nicht mehr die menschliche Gattung durch REPRODUKTION fortzusetzen, sondern darum, die Verbindung zwischen Mann und Frau durch die Mensch- Maschine-Schnittstelle zu erweitern. DER KOERPER IST VERALTET. Wir sind am Ende der Philosophie und der menschlichen Physiologie angelangt. Menschliches Denken verschwindet in die menschliche Vergangenheit.

5. ABWESENDE KOERPER.

Wir handeln meist als abwesende Koerper, weil ein Koerper dazu entworfen ist, eine Schnittstelle mit seiner Umgebung zu sein: seine Sensoren sind zur Welt hin geoeffnet (verglichen mit seinem unangemessenen internen UEberwachungssystem). Die Beweglichkeit des Koerpers und dessen Steuerung in der Welt verlangen diese Orientierung nach aussen. Seine Abwesenheit wird durch die Tatsache verstaerkt, dass der Koerper gewohnheitsmaessig und automatisch funktioniert. SEINES KOERPERS BEWUssT ZU SEIN, TRITT OFT NUR DANN EIN, WENN SICH STOERUNGEN EREIGNEN.

Verstaerkt durch cartesianische Konvention, persoenliche Ueberzeugung und neurophysiologisches Design handeln Menschen nur als mentale Wesen, die sich in metaphysischen Nebelschwaden aufhalten. Der Soziologe P.L.Berger traf die Unterscheidung zwischen "einen Koerper haben" und "ein Koerper sein". UNTER DER ANNAHME, FREI HANDELN ZU KOENNEN, WERDEN DIE MOEGLICHKEITEN, EIN KOERPER ZU SEIN, DADURCH BESCHRAENKT, EINEN KOERPER ZU HABEN. Unsere Handlungen und Ideen werden wesentlich durch unsere Physiologie bestimmt. Philosophie ist fundamental in unserer Physiologie begruendet.

6. NEUGESTALTUNG DES KOERPERS/NEUDEFINITION DES MENSCHLICHEN.

Es hat keine Bedeutung mehr, den Koerper als Ort der Psyche oder des Sozialen zu sehen. Er ist eine Struktur, die ueberwacht und modifiziert werden kann. Der Koerper nicht als ein Subjekt, sondern als ein Objekt - NICHT ALS OBJEKT DES BEGEHRENS, SONDERN ALS OBJEKT DER GESTALTUNG. Die psychosoziale Persiode war dadurch charakterisiert, dass der Koerper um sich selbst kreiste, dass er sich durch physisches Anstacheln und metaphysische Kontemplation um sich selbst drehte, sich selbst erleuchtete und untersuchte.

7. OBERFLAECHE UND SELBST

. Die Haut war als Oberflaeche einst der Beginn der Welt und gleichzeitig die Grenze des Selbst. Sie war als Schnittstelle einst der Ort, an dem das Persoenliche und das Politische aufeinandertrafen. Ausgeweitet und durchdrungen von Maschinen IST DIE HAUT NICHT MEHR DIE WEICHE EMPFINDLICHE OBERFLAECHE EINES ORTES ODER EINES BILDSCHIRMES. Haut bedeutet nicht mehr Abschliessung. Das Aufbrechen der Oberflaeche und der Haut ist die Ausloeschung des Innen und des Aussen. Die Haut ist als Schnittstelle nicht mehr adaequat.

8. DIE INVASION DER TECHNOLOGIE

Miniaturisierte und biokamptible Technologie verbinden sich mit dem Koerper. Obgleich dies nicht angekuendigt wurde. ist dies eines der wichtigsten Ereignisse in der menschlichen Geschichte, das fuer jedes Individuum einen physischen Wandel mit sich bringt. Technologie wird nicht nur an der Koerper angeschlossen, sondern auch in ihn implantiert. TECHNOLOGIE, DIE EINST EIN BEHAELTER WAR, WIRD JETZT EINE KOERPERTEIL. Als Instrument fragmentierte und depersonalisierte die Technologie die Erfahrung - als ein Koerperteil kann sie DIE GATTUNG SPALTEN. Es gibt keinen Vorteil, noch laenger menschlich zu sein oder sich als Gattung zu entwickeln. DVOLUTION HOERT AUF, WENN DIE TECHNOLOGIE IN DEN KOERPER EINDRINGT. Frueher stattete die Technologie jeden mit dem Potential aus, individuell in seiner Entwicklung fortzuschreiten. Der Zusammenhang der Gattung kann nicht laenger aufrechterhalten werden. Metaphysische Sorgen ueber das Verhaeltnis von Geist und Koerper werden vom Dilemma der Spaltung von Koerper und Gattung beiseitegedraengt. Die Bedeutung der Technologie koennte darin bestehen, dass sie in ein veraendertes Bewusstsein muendet, das POSTHISTORISCH, transhuman und sogar EXTRATERRESTRISCH ist (Die ersten Anzeichen einer fremden Intelligenz koennen auch von diesem Planeten kommen).

9. KUENSTLICHE INTELLIGENZ/ALTERNATIVE EXISTENZ

Kuenstliches Leben wird es nicht mehr in Computerprogrammen geben, die die biologische Evolution simulieren. Kuenstliche Intelligenz wird nicht mehr Expertensysteme bedeuten, die innerhalb bestimmter Aufgabenbereiche arbeiten. Der elektronische Raum erzeugt nicht mehr nur Information, er erweitert und verstaerkt die operationellen Parameter des Koerpers UEBER SEINE BLOSSE PHYSIOLOGIE UND DEN ORT HINAUS, AN DEM ER SICH BEFINDET. Daraus entsteht eine Interaktion in High-Fidelity - ein immer komplexer werdendes Ineinandergreifen des Koerpers mit seinen Maschinen.

10. ERWEITERTER KOERPER, LASERAUGEN UND DRITTE HAND

Wenn man meine frueheren Perfomances als Erkunden und Durchbohren des Koerpers charakterisieren kann (die drei Filme ueber das Innere des Magens, der Lunge und des Darms/ die 25 Aufhaengungen), indem sie die physischen Parameter und normalen Faehigkeiten des Koerpers zeigten, dann erweitern und verstaerken ihn die neueren Performances visuell und auditiv. Erweiterte Koerperprozesse beinhalten Gehirnwellen (EEG), Muskeln (EMG), Puls (Plethysmogramm) und Blutzirkulation (). Andere Transduktoren und Sensoren verfolgen die Bewegung der Gliedmassen und geben die Koerperhaltung an. Das Tonfeld wird durch klingelnde, klickende, pumpende, piepsende und Toene konfiguriert - von ausgeloesten, zufaelligen, sich wiederholenden und rhythmischen Signalen. Die kuenstliche Hand, die am rechten Arm eher als eine Hinzufuegung denn als Prothese angebrachtist, kann sich unabhaengig bewegen, indem sie durch EMG-Signale der Bauch- und Beinmuskeln aktiviert wird. Sie besitzt Mechanismen fuer Greifen-Loslassen, sie kann sich um 290 Grad drehen und hat ein taktiels Feedback-Systemfuer ein rudimentaeres "Gefuehl der Beruehrung".

Waehrend der Koerper seinen aeusserlichen Manipulator aktiviert, wird der wirkliche linke Arm ferngesteuert - er wird durch zwei Muskelstimulatoren in Bewegung gesetzt. Elektroden, die auf den Muskeln und dem Bizeps angebracht sind, biegen die Finger nach innen, drehen das Handgelenk und werfen den Arm nach oben. Das Triggern der Armbwegung geben den Takt fuer die Performance und die Signale der Stimulatoren werden neben den Motorgeraeuschen der Dritten Hand als Tonquellen benutzt. Der Koerper bewegt sich in einer strukturierten und interaktiv gesteuerten Lichtinstallation, die auf die elektrischen Entladungen des Koerpers mit Flackern und Leuchten antwortet und reagiert - manchmal synchron, manchmal gegenlaeufig. Licht wird nicht als aeussere Beleuchtung des Koerpers eingesetzt, sondern als eine Manifestation der Koerperrhythmen. Die Performance ist eine Choreographie aus kontrollierten, zwanghaften und unwillkuerlichen Bewegungen von internen Rhythmen und aeusseren Gesten. Sie geht aus dem Zusammenspiel von physiologischer Kontrolle und elektronischer Modulation von menschlichen Funktionen und maschineller Verstaerkung hervor.


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