Mit der Cybersexualitaet laesst man sich nicht mehr scheiden, man koppelt sich ab. Die propriozeptive
Wirklichkeit wird ploetzlich uneigentlich, alles spielt sich in einer wechselseitigen Entfernung ab.
So tritt eine diskrete, fluechtige Verbindung auf den Plan, die nicht mehr auf der Anziehung basiert, sondern
auf dem Zurueckweisen, auf der Abstossung der Koerperteile der sich Begegnenden. Dank der Kopulation von
denjenigen, die schon nicht mehr "verbunden" sind, wird die AEsthetik des Verschwindens ihrerseits von der
Ethik des notwendigen Verschwindens des "Naechsten", des Ehegatten, des Geliebten zugunsten desjenigen
"Fernen" ausgeloescht, den Nietzsche uns gestern zu lieben empfahl. Nach der Verfuehrung der Simulation ist das die Enttaeuschung der Substitution: das weibliche Objekt aller Begierden und aller Phantasmen macht ploetzlich der Objekt-Frau Platz. Diese Umkehrung, Symptom eines grossflaechigen Aufflackerns der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit, ist nur das Ergebnis einer Fahrt durch die "Zeitmauer", durch jene Zeitgrenze der Lichtgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen, die nicht nur die auf das Lebendige, sondern auch auf die ganze Materie, die ganze wirkliche Praesenz des Anderen bezogene Geschwindigkeit zugunsten eines panischen Phaenomens der Trennung im Wert herabsetzt. Von deren Ankunft kuendet bereits die wachsende Menge der Scheidungen und die exponentielle Zunahme der Familien mit nur einem Elternteil. Wenn man das virtuelle Wesen - den Fernen - dem wirklichen Wesen - dem Naechsten - vorzieht, dann verwechselt man den Gegenstand mit seinem Schatten, dann zieht man die Darstellung, den Klon, einem substantiellen Wesen vor, das einen behindert und das man buchstaeblich in den Haenden haelt , einem Wesen aus Fleisch und Blut, das nur den Nachteil hat, hier und jetzt da zu sein und nicht dort. Die grosse Verwandlung der Teleoperations-Technologien hat nur dazu beigetragen, uns aus den Dimensionen der eigentlichen Welt herauszureissen. Gleich ob es der Dampfmotor (der Zug) oder der Explosionsmotor (das Auto oder das Flugzeug) war, so hat uns die Beschleunigung der Antriebstechniken den Kontakt mit der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit verlieren lassen. Hoeren wir auf die Nostalgie des Piloten: "Das Flugzeug reisst Sie los, es laesst Sie in Gefahren laufen, es verschreckt das Glueck, es nimmt Sie zurueck, wenn es Sie zuruecknimmt! Ich habe nur das Flugzeug wirklich geliebt." (Claude Roy) Am Fusse der Zeitmauer, beim Eintreten in die globalen Zeit, die die lokale Zeit bezwingt, gibt es ein anderes Aufflackern, einen anderen Knall als beim Durchstossen der Schallmauer: er kuendigt den Wirklichkeitsverlust von demjenigen oder derjenigen an, mit dem/der man sich vereinigen will oder den/die man behauptet zu lieben. Wie beim Duesentriebwerk eines Flugzeugs, das die Schallmauer durchbrechen kann, vollzieht sich alles dank des Rueckstosses des Anderen in einer Fernliebe, in dieser Moeglichkeit, seine unmittelbare Nahumgebung zurueckzuweisen, um die Distanz zu geniessen und in der Sinnenfreude so "voranzuschreiten", wie das Duesentriebwerk das Flugzeug vorantreibt. Genauso wie der Start eines UEberschallflugzeuges es ermoeglicht, die ernaehrende Erde und die Geographie der Kontinente zu ueberfliegen, ermoeglicht die "Fernhandlung" der Duesenliebe den Partnern, ihre wechselseitige Naehe ohne Ansteckungsrisiko zu ueberwinden: das elektromagnetische Praeservativ der Ferne ersetzt - das ist der Anlass, dies zu sagen - den fragilen Schutz des Kondoms. Die Kopulation, die bis heute noch "lebendig" war, wird ploetzlich unverbindlich und verwandelt sich in eine ferngesteuerte masturbatorische Handlung ... In dem Augenblick, in dem man mit der kuenstlichen Befruchtung, mit der Gentechnik beginnt, kann man auch den Koitus unterbrechen und mit der Hilfe einer biokybernetischen Ausruestung, bei der Sensoren auf den Geschlechtsorganen angebracht werden, die sexuellen Verbindungen der gegensaetzlichen Geschlechter trennen. "Das Tiefste, was der Mensch besitzt, ist die Haut", behauptete, wie man sich erinnert, Paul Valery. Hier kommt die ganze finale Perspektive ins Spiel: die taktile Perspektive dieser sogenannten "Fernberuehrung", die heute die klassischen Perspektiven des Blicks und des Gehoers vollendet. Man kann heute nichts von der UEbersteigerung der Cybersexualitaet ohne diese paradoxale Hautperspektive erahnen. Wenn heute jemand einen "Datenanzug" anzieht, dann ueberzieht er sich mit Information. Sein Koerper ist ploetzlich zu einer zweiten Haut geworden, zu einer muskulaeren und nervoesen Schnittstelle, die seiner Hautdichte hinzugefuegt wird. Fuer ihn, fuer die beiden, wird die Information zum einzigen "Relief" der koerperlichen Wirklichkeit, zum einzigen "Volumen". Mit dieser "Schutzbekleidung", die buchstaeblich aus elektronischen Impulsen gewoben ist und die jede ihrer Gefuehle codiert und decodiert, treten die Partner der virtuellen Liebe in einen kybernetischen Prozess ein, wo der Informationsapparat nicht nur das Bild oder den Ton generiert, sondern von nun an auch die sexuellen Empfindungen. Nach der chemischen Zwangsjacke, den Psychopharmaka, kommt also die elektronische Zwangsjacke, aber die gesuchte Wirkung ist gegenteilig, da es sich nicht mehr darum handelt, einen verrueckten Insassen zu beruhigen, sondern jetzt geht es darum, ihn zu reizen, ihn in den Wahnsinn zu ueberreizen. Es ist ein Beruehrungswahnsinn, der sich augenblicklich uebertraegt. Der altgewordene Papst der amerikanischen psychedelischen Szene, so sagt man, voegelte aus der Entfernung mit einer Japanerin, die in Tokio wohnt. Im Herzen dieser Cyberkultur gibt es, wie stets im technischen Bereich, ein einziges Gesetz: das Gesetz des geringsten Aufwandes. Nach der Revolution des Verkehrs, die unlaengst noch Hochzeitsreisen nach Venedig oder anderswohin ermoeglichte, ist jetzt das Zeitalter der Revolution des sexuellen Verkehrs angebrochen, die zum grossen Teil durch den Fortschritt der aus der Revolution der UEbertragungen in Echtzeit entstandenen Mittel ermoeglicht wurde. Der virtuelle Genuss des "fleischlichen Aktes" verhaelt sich zu miteinander verbundenen Paaren wie die virtuelle Gemeinschaft zur buergerlichen Gesellschaft der Teilnehmer am Internet. Wir werden bald an einer verblueffenden Scheidung teilnehmen. Wenn die industriellen Technologien zum Niedergang der Grossfamilie der laendlichen Welt zugunsten der buergerlichen und dann der Kernfamilie waehrend der Explosion der Staedte im letzten Jahrhundert beigetragen haben, dann wird das Ende der Vorherrschaft koerperlicher Naehe in der Megalopolis des postindustriellen Zeitalters nicht nur das Wachstum der Familie mit einem Elternteil beguenstigen, sondern es wird einen weitaus radikaleren Bruch zwischen Mann und Frau hervorrufen, der die Zukunft der sexuellen Reproduktion in Frage stellt - der "parmenidische" Schnitt zwischen den Prinzipien maennlich und weiblich wird sich mit der Ausuebung der Fernliebe selbst erweitern. Sehen wir uns jetzt die Gruende fuer das ausserordentliche Privileg an, das durch die Evolution der Tierarten der sexuellen Reproduktion zugekommen ist, obgleich die Parthogenese anscheinend eine weitaus oekonomischere Loesung anbieten wuerde. Nach einem langen Studium kamen die Mediziner Stephen Howard und Curtis Lively von der Universitaet von Indiana kuerzlich zu dem Ergebnis, dass "die Vermischung der Gene, die jeder sexuellen Zeugung zugrundeliegt, es erlaubt, die Ausloeschung der Arten angesichts verschiedener Erkrankungen, aber vor allem angesichts vorhersehbarer Mutationen der Arten auf ein Minimum zu reduzieren." Also ist eine einzige Mutation dieser Voraussicht der Natur entgangen: die Mutation der Biotechnologien. Mit dem Fortschritt der Technowissenschaften des Lebendigen - die Erforschung des menschlichen Genoms oder der Fortpflanzung -, dem wir heute beiwohnen, vermischen sich die Biosphaere und die Technosphaere einerseits dank der Erfolge der Nanotechnologien und andererseits zugunsten der Erfolge der Computerwissenschaften. Man kann nur darauf warten, dass bald andere, daraus abgeleitete Entwicklungen und andere Konfusionen in der Materie der genetischen Information entstehen werden, wobei das Mindeste nicht das Reagenzglas-Baby (le bebe-eprouvette) der In-Vitro-Befruchtung waere, sondern eher schon morgen die dank der telesexuellen Interaktivitaet empfundene Fernliebe (l'amour eprouve a distance). Wir beruehren hier, wenn man das noch sagen kann, ein Paradox, das von nun an aus der Tele-Vereinigung fuer den Austausch besteht. Analysieren wir ein wenig, was verlorengeht oder zumindest in den Verfahren der kybernetischen Sexualitaet gaenzlich in Vergessenheit geraten kann, die sogar, mit dem bereits durch unsere Lebensweisen weitgehend beschnittenen Begehren nach Fortpflanzung, die sexuelle Reproduktion selbst bedroht. Wenn heute die unmittelbare Naehe hinreichend klar das hier praesente Sein definiert, dann besteht morgen die Gefahr, dass sich diese Situation auf gefaehrliche Weise verwischt oder sogar verschwindet und mit ihr die alte sozialisierende Maxime: "Sage mir, wer dich oft besucht, und ich werde dir sagen, wer du bist." Aber bevor wir weiter fortfahren, sollten wir kurz auf die Rolle der Balztaenze im Tierreich, auf die Annaeherungsversuche und auf die Hochzeitsriten zu sprechen kommen, durch die die "Neuvermaehlten" bis vor kurzem fuer die Begattung empfaenglich wurden, um zum "Stammvater" ihrer Kinder zu werden. Traditionellerweise waren die Hochzeitsfeiern einerseits durch die Reise, durch eine angemessene Entfernung charakterisiert, die der Zeremonie voranging oder auf sie folgte und die die Erinnerung an die biologischen Gefahren wahrte, die aus einer moeglichen Verwandtschaft der Gatten erwachsen konnten. Andererseits garantierte der eigentliche fleischliche Akt, die geschlechtliche Vereinigung, dass die Hochzeit richtig vollzogen wurde. Die Kopulation sicherte die rechtliche Wirklichkeit des Heiratsvertrages ab. Gegenwaertig unterliegen die Hochzeitsrituale ihrerseits dem Einfluss einer Lebensweise, in der die Eile jede UEberlegung bis zu dem Punkt hinwegspuelt, dass besonders in den Vereinigten Staaten sich die "Blitzhochzeiten" vermehren. Das weist darauf hin, dass von nun an "die Reise" in den Hochzeitsfeiern die "Hochzeitszeremonie" mit sich wegreisst, dass der beschleunigte Nomadismus der Drive-In-Hochzeit bald durch die virtuelle Hochzeit ersetzt werden wird. Ein Beispiel fuer das, was kommen wird, gab es im letzten Salon des Institut de l'Audiovisuel in Monte-Carlos, wo Tele-Ehegatten, ausgeruestet mit einem Datenhelm und von einem Datenanzug bekleidet, ihre Versprechungen austauschten. Von nun an spuelt die Entfernung die Hochzeitsentfuehrung hinweg, so wie in der Vereinigung auf Distanz vor allem die Ferne, der Abstand der gegenueberstehenden Koerperteile zaehlt. Es geht nicht mehr um die Beruehrung, den koerperlichen Kontakt der Partner, sondern um die Zurueckweisung des Anderen. Daraus entwickelte sich der Sex-Tourismus und auch die Etablierung eines globalen Netzes der Kinderprostitution wie in Thailand, wo diese Art des sexuellen Vergnuegens nahezu 80% der Geschaeftsabschluesse dieses Landes ausmacht. Wie bereits beim extremen Alpinismus, bei dem die Besteigung eines Gipfels jetzt weniger zaehlt als die Geschwindigkeit der Bergtour, beginnen die gegenwaertigen sexuellen Praktiken zu zerfallen. Wie bei einem Reaktor, der seine Produktion nuklearer Energie nicht mehr gewaehrleistet und sich anschickt zu explodieren, tritt der Paarungsmotor der Geschichte in die Phase des Auseinandertretens ein und beginnt in dem Masse zu zerfallen, in dem die wechselseitige Abstossung bereits den Sieg ueber die Anziehung, ueber die sexuelle Verfuehrung davontraegt. Man kann so die Gruende fuer die Zunahme der Klagen ueber sexuelle Belaestigung in den Vereinigten Staaten und den ploetzlichen Anstieg der "Gesinnungsprozesse", die von mehr und mehr Frauen getragen werden, besser verstehen, weil sie genau in dem Moment entstehen, wo nach der Welle von Serienscheidungen vor zwanzig Jahren die Welle des massenhaften Zerfalls der zeugungsfaehigen Paare beginnt. Obwohl es zunaechst so erscheinen mag, kann man hier nichts von der Moral oder gar der permissiven Einstellung der "postmodernen" Gesellschaft sehen, weil es sich vor allem um ein technologisches und anthropologisches Phaenomen unbekannten Ausmasses handelt. Wenn man potentiell die unmittelbare Verbindung der Koerper durch eine diskrete "mediatisierte" Trennung mittels der Kuenstlichkeiten der Cybersexualitaet ersetzt, dann loest man einen Prozess der physiologischen und demographischen Desintegration aus, der ohnegleichen in der Geschichte ist. Weit davon entfernt den gewohnten Unterschied zwischen dem sinnlichen Genuss - dem l'art pour l'art des sexuellen Aktes - und dem fleischlichen Akt zu reproduzieren, der der Erzeugung einer familiaeren Nachkommenschaft gewidmet ist, lassen die Tele-Technologien der Fernliebe nicht nur eine fluechtige Form der Geburtenfernkontrolle, sondern auch die Vorausssetzungen der Hyper-Scheidung entstehen, die bald die Zukunft der menschlichen Fortzeugung bedrohen. "Das Individuum des wissenschaftlichen Zeitalters verliert seine Moeglichkeit, sich als Energiezentrum zu empfinden", kuendigte Paul Valery an. Wenn die virtuelle Lust der sexuellen Telepraesenz kuenftig, wie das wahrscheinlich ist, die wirkliche Lust der verkoerperten Liebe abloesen sollte, dann koennten nur noch die nicht bloss unterentwickelten, sondern auch "medial" schlecht ausgeruesteten Gesellschaften das UEberleben der Menschheit sicherstellen. Nachdem die Callgirls gerade so wie die "Strassenmaedchen" der technischen Arbeitslosigkeit ausgesetzt wurden, wird die Kybernetik der kuenftigen Liebestransporte bald das Maennliche und das Weibliche aus einer Menschheit entlassen, die durch die Vorzuege der Sexmaschinen der medialen Masturbation gaenzlich disqualifiziert ist. Aus dem Französischen übersetzt von Florian Rötzer |