URUGUAY 1930


Alfred Fierarus Erinnerungen an das Abenteuer von 1930

Es war wie ein Traum. Wir, die rumänischen Spieler, konnten es damals nicht fassen, daß sich unser Land als erstes für die Weltmeisterschaft gemeldet hatte. Eine Reise über 11000 Kilometer! Was tat es, daß wir von Bukarest bis Genua in der Holzklasse fuhren. Für das Geld, das ein Schlafwagen gekostet hätte, kauften wir uns einen Weltmeisterschaftsanzug. Am 19. Juni 1930 verließen wir Genuas Hafen. Das Schiff hieß »Conte Verde«. Wir waren 15 Spieler, 12 von ihnen sahen zum erstenmal das Mittelmeer. In Villefranche kamen die Franzosen an Bord, in Barcelona die Belgier. Nur die Jugoslawen hatten ein anderes Schiff genommen, die »Florida« aus Marseille. Da hatten wir ganz Europa für die erste Weltmeisterschaft.

 


Doch ob Franzosen oder Belgier; unser berühmtester Reisegefährte war der große russische Sänger Fedor Schaljapin, der
mit seiner Tochter, einer damals 18jährigen Schönheit, und einem Hund nach Südamerika fuhr. Uber den Hund sagte man, er belle immer dann, wenn der Sänger eine falsche Note singt. Schaljapin, Tanzabende, der Äquatorball, Training auf dem Deck, Ballspiele; auf die Dauer konnte das nicht fesseln. Wir träumten nur von Südamerika. Am 28. Juni 1930 waren wir in Rio de Janeiro, einen Tag später in Santos. Damals hieß es: Wer Santos sagt, der denkt Kaffee. Heute ist das schon anders: Wer Santos sagt, der denkt Pele. Also Fußball siegte gegen Kaffee. Am 2. Juli wurden wir im Hafen von Montevideo mit Böllerschüssen herzlich empfangen. Die Stadt war ganz auf Fußball und die Weltmeisterschaft eingestellt. Die beste Zahnpasta Uruguays hatte damals keinen Namen, sondern die Zähne von Andrade. Man wußte dam als zwar nicht den Namen des schönsten uruguayanischen Tangos, aber man wußte, daß er Scarone gefiel. Das Centenario-Stadion sahen wir am zweiten Tag nach unserer Ankunft. Zwei der vier Tribünen hießen Colombes und Amsterdam, die anderen beiden Montevideo und Olimpica - zur Erinnerung an die Olympiasiege Uruguays1924 und 1928. Um das ganze Spielfeld lief ein zweieinhalb Meter breiter Wassergraben und der später üblich gewordene Zaun. Die traditionelle "Furia Latina" mußte eben gebremst werden. Im ersten Spiel traf Rumänien am 14. Juli auf Peru und gewann mit 3: 1 (1 : 0)- Wir spielten im Pocitos-Stadion des Clubs Penarol. Auf der Tribüne saß die gesamte Nationalmannschaft von Uruguay, die in unserer Gruppe ausgelost war. Der Sieg gegen Peru wurde rnit zwei verletzten Spielern teuer bezahlt. Das dritte Tor für Rumänien schoß im übrigen Nicolae Covaci, der ältere Bruder des, später berühmten Trainers von Ajax Amsterdam, Stefan Covaci. Nicolae Covaci, der heute als Pensionär in Timisoara. lebt, nahm im übrigen als einziger rumänischer Fußballspieler an drei Weltmeisterschaften teil, 1930, 1934 und 1938. Nach dem 3:1 über Peru begann das Zittern vor der Begegnung mit Uruguay. Für das Publikum Montevideos waren wir der große Gegner. Wir konnten deshalb nicht die Romantiker spielen, wie es die Akteure von Bolivien taten, die bei der Aufstellung Trikots trugen mit je einem Buchstaben auf dem Rücken.

Aneinandergereiht ergab das: Viva Uruguay - das waren just elf Buchstaben. Uruguay hatte Peru nur mit Mühe 1:0 schlagen können. Der Gastgeber bekam plötzlich Zweifel. Das Spiel Uruguay-Rumänien wurde am 21. Juli im Centenario-Stadion angesetzt; wir, die Rumänen, hatten plötzlich die Fähigkeit, die Tribünen bis auf den letzten Platz zu füllen. Wie erwartet, haben wir verloren. Doch unerwartet mit 0:4. Schon in der ersten Halbzeit waren wir groggy, als wir drei Tore in sechs Minuten hinnehmen mußten. Uns hatte tatsächlich die "himmlische Mannschaft" - so nannten die Uruguayaner ihr Team - besiegt. Ein paar Tage später fuhren wir nach Buenos Aires und trugen ein Freundschaftsspiel gegen Racing aus. Abends sahen wir in der Oper unseren alten Bekannten Schaljapin in "Boris Godunow". Es war ein Genuß, ihn zu hören. Das Finale der Weltmeisterschaft, eine wahre Fiesta, stieg am 30. Juli. Der Pokal blieb in Montevideo. Uruguay-Argentinien, das war der Kampf von "Los Titanos". Uruguay siegte 4:2. Das Orchester von Andrade besiegte die erstklassigen Solisten Argentiniens. Es war schon August, als wir auf der "Duilio" unsere Rückreise nach Europa antraten. Im Atlantik erkältete ich mich schwer eine doppelteseitige Lungenentzündung. In der Nähe von Gibraltar wurde ein Priester an mein Krankenbett gerufen; er sollte mir die Beichte abnehmen, und ich war bereit. Ich sagte: "Pater, meinen größten Fehler machte ich in der 63. Minute des Spiels gegen Peru, da ist mir der Stürmer Lavelle davongelaufen und hat das einzige Tor für sein Land geschossen. Errare humanum est!" Das Lateinische war natürlich das einzige, was er verstand. Und die Freunde erzählten mir später, daß ich in meinen Fieberphantasien immer nur mit einem Gegner gekämpft hätte, und der hieß Andrade.

 


Die ersten Weltmeister: Uruguays Gestido, Nasazzi,
Ballesteros, Mascheroni, Andrade, Fernandes (stehend
von links) und Dorado, Scarone, Castro, Cea und Iriarte

 

(aus Hennes Weisweiler, Fußballweltmeisterschaft 1974)