Telepolis Preview

Telepolis - Stadt am Netz

Vilém Flusser Tagung der Münchner Medientage


Programm

Termin:
19./20. Oktober 1995

Ort:
Aktionsforum Praterinsel
Praterinsel 3-4
80538 München

Konzept:
Christa Maar
Florian Rötzer
Stefan Iglhaut
Chrisoph Bartmann

Veranstalter:

BURDA AKADEMIE ZUM DRITTEN JAHRTAUSEND
MEDIENLABOR MÜNCHEN TELEPOLIS
GOETHE INSTITUT
SIEMENS KULTURPROGRAMM
AKTIONSFORUM PRATERINSEL
KULTURREFERAT DER LANDESHAPTSTADT MÜNCHEN

Organisation:

Akademie zum dritten Jahrtausend,
Burda Verlag
Arabellastr. 21
81925 München
Tel.: 0049 89 9250 2300
Fax: 0049 89 9250 3464

Medienlabor München

Lothringer Straße 13
Tel.: 0049 89 6886170
Fax: 0049 89 6886244
http://www.lrz-muenchen.de/MLM

Presseinformation:
Stefan Iglhaut

Briennerstr.12
München
Tel.: 0049 89 2343508
Fax: 0049 89 2343615


Wie jede Revolution ist die urbanistische zwar technisch bedingt, sie reicht aber in weitere Gebiete. Sie setzt voraus, daß wir uns existentiell umzustellen haben. Wir haben uns ein Netz von zwischenmenschlichen Beziehungen vorzustellen, ein 'intersubjektives Relationsfeld'. Die Fäden dieses Netzes sind als Kanäle zu sehen, durch welche Informationen wie Vorstellungen, Gefühle, Absichten oder Erkenntnisse fliessen. Die Gesamtheit der Fäden macht die konkrete Lebenswelt aus. Wir müssen aus Subjekten zu Projekten werden. Die neue Stadt wäre ein Projektion von zwischenmenschlichen Projekten. Das klingt 'utopisch', was es ja buchstäblich ist, denn die neue Stadt ist geographich nicht lokalisierbar, sondern überall dort, wo Menschen einander sich öffnen. Innerhalb der Vernetzung ist jeder überall als Möglichkeit gegenwärtig."
(Vilém Flusser)

Mit den wachsenden Möglichkeiten der computergestützten Telekommunikation werden sich unsere Lebensweise und unsere Lebenswelt radikal verändern. Das wird sich besonders auf das Leben in den Städten auswirken, den Zentren und Entstehungsorten moderner Gesellschaft. Städte hatten die Funktion, schnelle und vielfältige Kommunikation und Interaktion durch räumliche Nähe zu bewirken. Doch diese Funktion scheint allmählich in die Netze überzugehen mit der Aussicht, daß geographische Zentralität und räumliche Verdichtung überflüssig werden, daß die Grenzen zwischen Stadt und Land, zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, zwischen Freizeit und Arbeit sich verschieben. Knoten im Netz können sich überall befinden. Die Krise der Städte, ihr "Sprawling", das Wuchern der Peripherie, ist Symptom für den zu erwartenden Umstellungsprozeß, der auch in das private Leben eingreifen wird, wenn in virtuellen, dezentralisierten Organisationen immer mehr Tele-Arbeitsplätze entstehen, wenn sich Tele-Gemeinschaften bilden, wenn ein erheblicher Teil des Lebens sich in Form einer bis jetzt unbekannten Tele-Existenz abspielt.

Schon Autos und Telefone, mit ihrem auf Individualverkehr und -kommunikation ausgelegten Straßen- und Kabelnetz, haben die Notwendigkeit der räumlichen Nähe erodieren lassen - ein Prozeß, der durch die Ausbreitung von breitbandigen Computernetzwerken fortgesetzt wird und der einen neuen, global ausgerichteten, nicht mehr an einem Ort dauerhaft verankerten, sondern prinzipiell permanent veränderbaren und vor allem grenzenlosen urbanen Raum entstehen läßt, den man gemeinhin Cyberspace nennt und der gegenwärtig immer weniger mit den zunächst prägenden dörflichen Vorstellungen wie "global village" oder "electronic cottage" und immer mehr mit urbanen Metaphern wie "City of Bits", "Interactive City", "Telepolis", "Internationale Stadt", "Digital City", "CyberCity", "Computer City" oder "Virtual City" zu tun hat. Viele dieser sich nirgendwo im realen, sondern nur im virtuellen Raum befindlichen "Städte" bieten "Orte" an, an denen man sich treffen, miteinander kommunizieren, spielen oder handeln kann. Auch diese teils öffentlichen, teils zugangsbeschränkten oder privaten "Orte" werden mit architektonischen oder urbanen Begriffen charakterisiert und "räumlich" geordnet, denn die räumliche Anordnung eröffnet Orientierung für die Reisenden und Flaneurs auf den Datenplätzen, -strassen und -schnellstrassen, die sich auf ihrer Suche durch sie hindurchklicken.

Eines der ältesten Netzwerke, das Cleveland Free-Net, zeigt, wenn man sich einloggt, auf dem Bildschirm eine Struktur, die nach urbanen Institutionen wie "Administration Building", "Post Office", "Public Square", "Courthouse and Government Center", "Arts Building", "Science and Technology Center", "Medical Arts Building", "Community Center and Recreation Area", "Business and Industrial Park", "Library" oder "University Circle" aufgegliedert ist. In anderen Netzwerken gibt es Shopping Malls, Museen, Galerien, Fun Houses. Auf der anderen Seite drängen Computerterminals, die öffentlich zugänglich sind, aus den Büros und privaten Räumen hinaus, in Cafes, auf Straßen und Plätze, oder machen es Laptops möglich, die mit einem Modem an irgendeinen Telefonanschluss oder sogar an Mobiltelefone angeschlossen werden, überall und zu jeder Zeit den Raum der virtuellen Städte zu betreten, der mit forschreitender Konvergenz der Medien und mit immer besseren Schnittstellen ausgestattet sich möglicherweise bald auch einer multisensorisch erfahrbaren Simulation annähern wird.

Cyberspace oder Telepolis wird heute erschlossen und besiedelt. Im Cyberspace wird nicht nur kommuniziert, in ihm wird gearbeitet, gehandelt, Geschäfte abgeschlossen, in ihm werden Informationen verteilt, neue soziale Beziehungen geknüpft und Freizeitbeschäftigungen ausgeübt, ohne daß man sich noch von dem Ort fortbewegen muß, an dem man sich körperlich befindet, oder man sich an bestimmte Orte begeben muß, um in ihn einzutreten. Neben der Lebenswelt, die durch die Position und Anwesenheit des materiellen Körpers ausgezeichnet ist, entwickelt sich im Cyberspace eine Welt der Tele-Existenz. In den Cyberspace wandern immer mehr einstmals städtische Verdichtung erfordernde Funktionen ein. Auch wenn der Cyberspace im wirklichen und umbauten Raum verankert ist, so ist dessen Zentralität nicht mehr räumlich definiert. Sie kann sich über den Raum in Form etwa von virtuellen Organisationen mit allen Vorteilen der Verschlankung, Dezentralisierung, Just-in-Time-Produktion oder künftig verstärkt wirksam werdender computer-integrated Manufacturing verteilen.

Daß hierzulande das nun wieder in eine Hauptstadt zu verwandelnde Berlin zum Schauplatz einer urbanistischen und architektonischen Debatte wurde, entspringt nicht nur den großen und einschneidenden Bauvorhaben, die das Gesicht einer Groß- und Hauptstadt prägen sollen, sondern eher noch der kaum offen verhandelten Frage, wie denn das Verhältnis von Großstadt und Hauptstadt heute zu begreifen sei, und vor allem, wie sich haupstädtische Funktionen in einer realen Architektur einschreiben sollen. Schon der Gang von Bonn, einer eher peripheren Mittelstadt, nach Berlin hat im Zuge der Wiedervereinigung selbstverständlich immanente Züge der Wiederherstellung einer zuvor verlorengegangenen Mitte und Zentralität. Die in Material fixierte Stabilität und Monumentalität haupstädtischer Architektur erscheint heute nur noch als eine hilflose und nostalgische Reaktion auf die Mobilität gesellschaftlicher Prozesse und individueller Lebensläufe im Zeitalter der elektronischen Medien und Netzwerke, deren Verankerung an einem Ort und deren Fixierung auf einem "Bild" immer beliebiger wird.


Das Programm

Donnerstag
19. Oktober '95

1. Die Stadt ist tot - es lebe die Stadt

Die City, das ehemalige Herz der Stadte, trotzt allen Wiederbelebungsversuchen. Im Zeichen von Teleworking und globaler Vernetzung lassen sich neuerdings sogar Bürohauser nur noch schlecht vermieten. Bei der Hauptstadtplanung für Berlin geht man davon aus, daß sich die verlorene Stadtmitte auf der grünen Wiese wiedererrichten ließe, urbane Vitalität eingeschlossen.

19.00

Hans Spitzner
Staatssekretär im Bayer. Staatsministerium fur Wirtschaft, Verkehr und Technologie, München
Begrüßung

Stefan Bollmann
Medienwissenschaftler und Verleger, Mannheim
Warum Stadte und nicht Dörfer? - Anmerkungen zu Vilém Flussers Entwurf einer Technozivilisation

Martin Pawley
Architekturkritiker, London
Auf dem Weg zur Enturbanisierung der neuen Medien (Vortrag ist in englischer Sprache)

Volker Hassemer
Senator für Bauwesen, Berlin
Die neue Hauptstadt - Wiedererzeugung einer Metropole

Podiumsdiskussion
Hauptstadtplanung im Zeitalter der Computernetze
Diskussionsteilnehmer:
Edouard Bannwart, Cyberspace-Architekt, Berlin
Geert Lovink, Medientheoretiker, Amsterdam
Christoph Sattler, Architekt, München/Berlin
Franz Nahrada, Soziologe, Wien
Walter Prigge, Stadtsoziologe, Frankfurt
Reinhard Wieczorek, Referat für Arbeit und Wirtschaft, München
Moderation
Nikolaus Kuhnert, Herausgeber von Arch+, Berlin
Florian Rötzer, Medientheoretiker, München


Freitag
20. Oktober '95

2. Cyberspace und die Folgen - Urbanität in der vernetzten Stadt

Die globale elektronische Vernetzung wirkt sich nicht nur auf unser privates und berufliches Leben aus. Sie wird auch den öffentlichen Raum entscheidend verändern, wenn ein wichtiger Teil des urbanen Lebens in die Netze abwandert. Welche zusätzlichen Probleme oder welche neuen Chancen und Möglichkeiten entstehen fur die realen Städte? Welche Funktionen müßen Städte in Zukunft erfüllen? Auf welche Weise kann der Anschluss ans globale Netz dazu beitragen, daß sich die verödeten Stadtzentren revitalisieren?

9.00

Hubert Burda
Verleger, München
Begrüßung

Siegfried Hummel
Kulturreferent, München
Grußworte

Geert Lovink
Medientheoretiker und Gründungsmitglied von DE DIGITALE STAD, Amsterdam
Digital City Amsterdam

Michael Klein
Leiter des Instituts fur neue Medien, Frankfurt (Main)
Die Frankfurter Netzwerkprojekte Blind's World, Skylink und Digital Market Place

Franz Nahrada
Soziologe, Global Integrated Village Project, Wien
Global Village und Global City

11.00

Pause

Volker Grassmuck
Medientheoretiker, Tokyo
Konturen der Tele-Existenz

Joachim Blank
Gründungsmitglied Netzwerk Internationale Stadt, Berlin
Das Projekt Internationale Stadt in Berlin

Karel Dudesek
Gründungsmitglied von Ponton/van Gogh TV, Hamburg
World Within - Kommunikationsinfrastruktur für die olympischen Spiele 1996 in Atlanta

13.00 - 14.30

Mittagspause

Dr. Thomas Hornung
Siemens AG,Vernetzungssysteme, München
Weichenstellungen für die Telekommunikation

N.N.
Netzprojekt Bayern Online

Michael Konitzer
Chefredakteur Europe Online, Munchen
Netzprojekt Europe Online

Walter Prigge
Stadtsoziologe, Frankfurt
Urbanität durch Zerstreuung

16.30 Pause

Peter Hoschka
Projektleiter Polikom, Institut fur angewandte Informationstechnologie, GMD, St. Augustin
Das Projekt Polikom

Boris Groys
Kunsttheoretiker, Koln/Karlsruhe
Der vernetzte Schreiber

Moderation
Nikolaus Kuhnert, Herausgeber von Arch+, Berlin
Florian Rötzer, Medientheoretiker, München

18.00

Ende des Tagesprogramms

20.00

3. CyberIntimacy
Die größte Nutzungsdichte des Internet liegt im Bereich der persönlichen Kommunikation. Worauf beruht die Faszination der virtuellen Intimbeziehung ?

Kathy Rae Huffmann
Videokuratorin, Wien
Intime Beziehungen im Cyberspace

Stahl Stehnsli
Medienkünstler, Kunsthochschule für Medien, Köln
Tele-Körper

anschließend
Videoprogramm Intimität im Cyberspace, zusammengestellt von Kathy Rae Huffmann


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