"Fractal Flesh, Split Body: Voltage in Voltage out", die Stelarc-Performance im Rahmen von Telepolis, Luxemburg November 95, war ein Experiment, von dem bis zur letzten Minute niemand mit Sicherheit sagen konnte, ob es gelingen werde. Es handelte sich um eine wirkliche Weltuhraufführung, ein Projekt, das relativ bescheiden begann und an dem sich immer mehr Menschen beteiligten. Rückblickend kann man sagen, daß es sich gelohnt hat, weil es schließlich doch klappte. Nicht um eine weitere Theorieebene zu Stelarcs Arbeit zu entwickeln, sondern aus der Perspektive des Organisators möchte ich kurz das Konzept und die Historie des Projekts erläutern.
Stelarcs Idee war, daß Menschen über das Internet die Möglichkeit haben sollten, seine
Muskelkontraktionen zu steuern. Das Setup bestand aus Stelarc selbst mit seinem
künstlichen dritten Arm und an seiner Haut befestigten Elektroden, die Stromstöße
zwischen 0 und 60 Volt emittieren können, so abgestimmt, daß bestimmte vorgeplante
Muskelkontraktionen hervorgerufen werden. Die Ansteuerung der sämtlichen Elektroden
lief in einer "Muscle-Stimulator-Box" zusammen, die wiederum von einem Mac kontrolliert
wurde. Was am Bildschirm des Mac zu sehen war, ist die grafische Oberfläche der
"Stimbod-Software". Diese Software wurde ursprünglich von Troy Innocent, Empire Ridge,
Melbourne, geschrieben und von von Gary Zebington von
Merlin Integrated Media weiterentwickelt.
Stimbod zeigt eine Auswahl puppenhafter 3D Modelle von Stelarc in verschiedenen Körperpositionen.
Der Benutzer hat nun die Möglichkeit, einzelne Positionen mit der Maus anzuklicken,
sodaß der entsprechende Impuls ausgeübt wird und Stelarc, ohne willentliches Dazutun,
auch tatsächlich diese Position einnimmt. Diese Möglichkeit bestand, und darauf kommt
es an, nicht nur lokal, sondern auch für Menschen an anderen Orten, wo ein Mac mit derselben
Software über ein Modem mit der Muscle-Stimulator-Box verbunden war. Um diesen
Fernteilnehmern auch ein Feedback über den Erfolg ihrer Mausklicks zu geben, waren sie
zusätzlich mit einem Video-conferencing Bildtelefon verbunden.
Geplant waren ursprünglich Live-Schaltungen mit Paris, Amsterdam, Hamburg, Helsinki, Wien,
Milwaukee und Toronto. Die Performance fand an zwei Tagen, Freitag dem 10. und Samstag
dem 11. November, statt und dauerte jeweils ca. 6 Stunden. Funktioniert haben schließlich
die Verbindungen mit Amsterdam, wo parallel die Konferenz "Doors of Perception" stattfand,
mit Helsinki und der dortigen UIAH (University of Arts and Design), die 1994 bereits Veranstalter
des ISEA Festivals gewesen war und mit dem Centre Pompidou in Paris, in dessen Foyer sich
zeitweise bis zu 200 Leute um die Bildschirme drängten. Die Verbindung mit anderen Städten
klappte aus technischen Gründen nicht, meist wegen unterschiedlicher ISDN-Normen.
Die Zusammenarbeit mit den Veranstaltern der Remote-Sites wurde von
Kathy Rae Huffmann koordiniert.
Thomas Schoenherr und Nico Mack vom Centre de Recherche Public Henri Tudor wirkten
maßgeblich an der technischen Realisation mit, übernahmen das Brennen der Stimbod Software CD´s, sowie das Video-Set-up
in Verbindung mit der Video-conferencing Verbindung.
Den lokalen Sound Mix besorgte Curd Duca, die technische Gesamtleitung oblag Jens Heise.
Und Oliver Frommel, Mitarbeiter des Medienlabor München,
schrieb in einer Nachtsitzung ein Programm, das Bilder, die von zwei Indy-Cams live aufgenommen
wurden, permanent auf eine Stelarc-Web-Site am Telepolis.lu Server puschte. So konnten nicht nur
die priviligierten Zuschauer an den Remote-Locations über das Bildtelefon die Performance verfolgen,
sondern auch WWW-Benutzer überall auf der Welt. Daß diese Möglichkeit wahrgenommen wurde zeigen
11.000 Hits auf der Stelarc-Site während der jeweils 6-stündigen Performance. Für ein zusätzliches
Schmankerl sorgten Antya Umstaetter und Steffen Meschkat (Ping-Projekt, Art+Com), welche die
Live-Bilder von Stelarcs Performance auf einen Würfel in einer VRML-Welt mappten, die sie gerade
bei einer Veranstaltung in Japan generiert hatten.
Fazit: Fractal Flesh hat durch die Kombination von ISDN, Modemen, Bildtelefon, WWW und VRML gezeigt, welche interaktiven Möglichkeiten Telekommunikation heute schon bietet und damit einen Ausblick auf eine vernetzte Zukunft jenseits von pay-per-view und homeshopping geboten.